Aufrechnungslage trotz Begründung im Dreimonatszeitraum nicht zwingend inkongruent

26. April 2023

Die Herstellung einer Aufrechnungslage ist nicht allein deshalb inkongruent, weil die Aufrechnungsbefugnis in den letzten drei Monaten vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet worden ist.

BGH, Urteil vom 8.12.2022 – IX ZR 175/21

RA Dr. d’Avoine kommentiert das BGH, Urteil vom 8.12.2022 – IX ZR 175/21 im Heft 6 der EWiR 2023, S. 179 f.

1. Sachverhalt

Der Kläger ist (Sonder-) Insolvenzverwalter über das Vermögen der P (=Schuldnerin). Die Schuldnerin erwarb von dem Beklagten als Insolvenzverwalter der „W“ deren Geschäftsbetrieb. Der Kaufpreis war urspr. am 19.02.2016 fällig. Am 23. Februar 2016 vereinbarten die Parteien, dass der Kaufpreis in Höhe von 1 Million Euro am 23. Februar und in Höhe der restlichen 5,7 Millionen Euro am 18. März 2016 fällig sein sollte; gezahlt wurde nur die erste Rate. Vom Unternehmenskauf ausgenommen war bei der W gelagerte Fertigware. Diese sollte (und wurde später ab dem 23.02.2016) von der Schuldnerin abverkauft. Als Gegenleistung war die Zahlung einer „Handling Fee“ von € 170.000,00 netto vereinbart. Auf den Antrag der Schuldnerin vom 15.03.2016 wurde das Insolvenzverfahren am 23.05.2016 eröffnet. Der Beklagte meldete den fehlenden Kaufpreis zur Insolvenztabelle an. Mit einer vom Kläger festgestellten Teilforderung von € 500.000,00 hat der Beklagte die Aufrechnung gegen die streitgegenständliche „Handling Fee“ erklärt. Der Kläger verlangt mit der Klage die Zahlung der „Handling Fee“. Das Landgericht hat die Klage aufgrund der Aufrechnung abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Aufrechnung für insolvenzrechtlich unwirksam gehalten und der Klage stattgegeben. Der Senat hebt das Berufungsurteil auf und verweist an das OLG zurück.

2. Ausführungen des BGH

Der BGH hält die Aufrechnung des Beklagten mit einem (erstrangigen) Teilbetrag der zur Tabelle festgestellten Kaufpreisforderung für die immateriellen Vermögensgegenstände in Höhe von 500.000 € für zulässig. Sie scheitere nicht an § 96 Abs. 1 Nr. 3, § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO. Es fehle an einer inkongruenten Sicherung oder Befriedigung. Eine die Aufrechnungsbefugnis begründende Verknüpfung zwischen Haupt- und Gegenforderung setzte nicht voraus, dass die Aufrechnung ausdrücklich vereinbart werde. Ausreichend sei eine vor der Herstellung der Aufrechnungslage vorgenommene Verknüpfung, welche die Annahme einer Aufrechnungsbefugnis nach dem zuerst entstandenen Rechtsverhältnis rechtfertigt. Würden in einem Vertrag wechselseitige Ansprüche begründet und ergebe sich aus den getroffenen Vereinbarungen nicht, dass eine Erfüllung durch Aufrechnung ausgeschlossen sein solle, bestehe die zur Annahme der Kongruenz notwendige Aufrechnungsbefugnis. Sowohl der streitgegenständliche Anspruch auf die „Handling Fee“ als auch die zur Aufrechnung gestellte Teilkaufpreisforderung aus dem geschlossenen Unternehmenskaufvertrag seien aus einem einheitlichen Vertragsverhältnis erwachsen. Dass die Aufrechnungsbefugnis in den letzten drei Monaten vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet worden sei, führe nicht allein zu einer Inkongruenz der Herstellung einer Aufrechnungslage.

3. Analyse und praktische Konsequenzen:

Die Entscheidung schützt das Vertrauen der Vertragsparteien darin, sich grundsätzlich wegen der gegenseitigen Forderungen aus einem einheitlichen Vertrag durch Aufrechnung befriedigen zu können. Hier bestätigt der BGH seine Rechtsprechung zur Anfechtbarkeit der Aufrechnung im Dreimonatszeitraum zugunsten einer grundsätzlich anzunehmenden Kongruenz. Die in der Literatur teilweise vertretene Ansicht, dies sei nur zulässig, wenn der Aufrechnende einen Anspruch gerade auf den Abschluss der Vereinbarung habe, welche die Aufrechnungslage entstehen ließ, (so: MüKoInsO/Kayser/Freudenberg, 4. Aufl. 2019, InsO § 131 Rn. 17), lehnt der Senat ab. Dies ist zutreffend, da die Aufrechnung ein Erfüllungssurogat i.S.d. § 364 Abs. 1 BGB darstellt. Die von §§ 94 ff. InsO vorgesehene Möglichkeit, durch Aufrechnung zu erfüllen, macht die Aufrechnung nicht inkongruent, nur weil diese Möglichkeit nicht vertraglich bestimmt wurde. Die Erlangung einer kongruenten Aufrechnungslage hängt nicht davon ab, ob der Aufrechnende einen Anspruch gerade auf den Abschluss der die Aufrechnungslage entstehenden Vereinbarung hat. Bei der Differenzierung zwischen vertragstreuer Kongruenz und vom Gläubiger nicht zu beanspruchender und damit inkongruenter Deckung ist die Verknüpfung zwischen den beiden Rechtsverhältnissen (dem aufrechnenden und dem aufgerechneten) ausschlaggebend. Entstehen Haupt- und Gegenforderung aus einem einheitlichen Vertragsverhältnis ist grundsätzlich von der Entstehung einer vertragstreuen -und damit unverdächtigen- Aufrechnungslage auszugehen

Die Aufrechnung in der kritischen Zeit der §§ 130, 131 InsO verstößt auch nicht gegen den Schutz der Gläubigergesamtheit. Zwar nutzt der Aufrechnende einen Vorteil, der den übrigen Gläubigern nicht zusteht und befreit sich (ggf. nur teilweise) von einer Forderung, doch bestimmt bereits § 94 InsO, dass eine zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bestehende Aufrechnungslage durch das Verfahren im Grundsatz nicht berührt wird (so auch BGH a.a.O. Ziffer 12). Der Gesetzeszweck der §§ 94 ff. InsO würde nicht beachtet, wenn bereits das Entstehen der Aufrechnungslage eine Inkongruenz begründen und damit im Monat 1 vor dem Insolvenzantrag ohne weitere Voraussetzungen der Anfechtung unterliegen würde (§ 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO). Das führt der BGH aus und schützt letztlich das Vertrauen der Vertragsparteien in Aufrechnungspotentiale.

Quelle:
Kommentar zu BGH, Urteil vom 8.12.2022 – IX ZR 175/21 im Heft 6 der EWiR 2023, S. 179 f.

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Zukunftsfinanzierungs­gesetz (ZuFinG)

13. April 2023

Referentenentwurf liegt vor

 

Unser Land benötigt Investitionen in nahezu beispiellosem Umfang. […] Regelungen im Finanzmarktrecht, Gesellschaftsrecht und Steuerrecht sollen im Hinblick auf dieses Ziel weiterentwickelt werden.“

So beginnt der am 12.04.2023 veröffentlichte Referentenentwurf des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) und des Bundesministeriums der Justiz (BMJ):

https://www.bmj.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/DE/Zukunftsfinanzierungsgesetz.html

Der 143-seitige Entwurf ist weitreichend. Es werden verschiedenste Bereiche angefasst. Gesetze, wie das z.B. das BGB, AktG, DepotG, EStG, UstG und das KWG sollen ergänzt und erweitert werden. Es sind insgesamt 29 Gesetzte und Verordnungen betroffen. Ein paar – nicht sämtliche – der geplanten Neuerungen lassen sich wie folgt kurz zusammenfassen.

Anpassung des AGB-Recht

Die Änderungen im BGB sehen die Einführung eines § 310 Abs. 1a BGB vor.

Hiernach soll im AGB-Recht künftig gelten, dass Verträge über erlaubnispflichtige Finanzgeschäfte zwischen Finanzunternehmern vom Anwendungsbereich der AGB-Kontrolle ausgenommen werden, wenn die Vertragspartner aufgrund ihrer speziellen oder allgemeinen Sachkunde für Finanzgeschäfte nicht des Schutzes durch die AGB-rechtliche Inhaltskontrolle bedürfen. Diese Regelung beträfe nur Verträge zwischen Unternehmern, die in Bezug auf diese Verträge typischerweise die Vertragsbedingungen mitgestalten können. Die Regelung soll Rechtssicherheit schaffen und die Nutzung von Finanzinstrumenten zur Absicherung gegen Risiken erleichtern.

Anhebung des Höchstbetrags für Vermögensbeteiligungen

Aktuell ist der Vorteil des Arbeitnehmers aus der unentgeltlichen oder verbilligten Überlassung von Vermögensbeteiligungen am Unternehmen des Arbeitgebers, bis zu einem Höchstbetrag von € 1.440 pro Kalenderjahr, steuerfrei (vgl. § 3 Nr. 39 S. 1 EStG). Ab 2024 soll dieser Höchstbetrag auf € 5.000 angehoben werden. Die steuerliche Begünstigung von Vermögensbeteiligungen durch Entgeltumwandlung werde dabei zukünftig auf Fälle beschränkt, in denen die Vermögensbeteiligungen zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn gewährt würden, um unerwünschte Gestaltungen (Lohnoptimierungen) zu vermeiden.

Änderungen in § 19a EStG hätten zudem das Ziel, Startup- und KMU-Unternehmen durch Verbesserung der Mitarbeitergewinnung und -bindung zu fördern und zudem die sog. dry-income-Problematik für die Arbeitnehmer zu entschärfen. Als dry-income werden Einkünfte bezeichnet, die nicht fließen (liquid <-> dry).

Änderungen im Umsatzsteuerrecht

Die Verwaltung von Krediten und Kreditsicherheiten durch Kreditgeber ist in Deutschland im Gegensatz zu anderen EU-Mitgliedstaaten von der Mehrwertsteuer nicht befreit, was zu einem Wettbewerbsnachteil für deutsche Kreditgeber führe. Durch eine Gesetzesänderung in § 4 Nr. 8 UStG würden nun auch diese Verwaltungsleistungen von der Mehrwertsteuer befreit, um die Vorgaben der EU vollständig umzusetzen und gleiche Wettbewerbsbedingungen für die deutsche Kreditwirtschaft zu schaffen. Beratungs- oder Verwaltungsleistungen von anderen Unternehmern, die nicht selbst Kreditgeber sind, bleiben jedoch weiterhin umsatzsteuerpflichtig.

Regulierungen im Krypto-Space

Besonders erwähnenswert sind geplante Regulierungen in Bezug auf das Kryptoverwahrgeschäft. § 26b KWG würde demnach festlegen, dass Unternehmen, die im Kryptoverwahrgeschäft tätig sind, die von Kunden verwahrten Kryptowerte und Schlüssel getrennt von ihren eigenen und denen anderer Kunden aufbewahren müssen. Bei gebündelter Verwahrung bliebe es zwar erlaubt, die Werte unter einem öffentlichen Schlüssel abzulegen, jedoch müsse der Anteil jedes Kunden immer bestimmbar sein. Darüber hinaus dürfe über die verwahrten Werte und Schlüssel nicht ohne ausdrückliche Einwilligung des Kunden verfügt werden.

  • 46i KWG flankiert das Ziel des Kundenschutzes zusätzlich, indem die Kunden ein Drittwiderspruchsrecht und ein Aussonderungsrecht im Insolvenzverfahren erhalten sollen. Da das Verwahrgeschäft einen Treuhandcharakter hat und die Kunden wirtschaftlich berechtigt seien, sei die in der Rechtsprechung erarbeitete haftungsrechtliche Behandlung von Treuhandverhältnissen einschlägig.

Der Referentenentwurf setzt so die absehbare europäische MiCA-Verordnung, welche wahrscheinlich zum 01.01.2024 in Kraft treten wird, schon im Vorfeld um.

Einführung „elektronische Aktien“ in das AktG

Mit der Änderung des § 10 AktG wird das deutsche Recht für elektronische Aktien geöffnet, und zwar für elektronische Namensaktien, die in ein zentrales Register gemäß § 12 eWpG oder in ein Kryptowertpapierregister gemäß § 16 eWpG eingetragen sind, und für elektronische Inhaberaktien, die in ein zentrales Register gemäß § 12 eWpG eingetragen sind

Aktiengesellschaften sollen also künftig die Wahl haben, ob sie ihre Anteile herkömmlich als verbriefte Aktien oder als elektronische Aktien im Sinne des Gesetzes über elektronische Wertpapiere begeben. Elektronische Aktien unterscheiden sich von herkömmlichen Aktien lediglich dadurch, dass sie nicht verbrieft sind, sondern stattdessen in ein elektronisches Wertpapierregister eingetragen werden.

Fazit und Ausblick

Durch Digitalisierung, Entbürokratisierung und Internationalisierung sollen mitunter der deutsche Finanzmarkt und der Standort Deutschland attraktiver sowohl für nationale als auch für internationale Unternehmen und Investoren werden. Aktien und börsennotierte Wertpapiere sollen als Kapitalanlage attraktiver werden, um Nachfrageseite (Anreize für Aktien als Kapitalanlage) und Angebotsseite (Erhöhung der Anzahl börsennotierter Unternehmen in Deutschland) zu stärken.

Zugleich werden zahlreiche Veränderungen vorgeschlagen, um die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Klein- und Mittelunternehmen (KMU) zu stärken. Die Motivation Rechtssicherheit im Finanzsektor zu schaffen, dürfte in Anbetracht neuer Technologien, wie z.B. die Blockchain-Technologie äußerst willkommen sein. Es wären auch noch weitere Regelungen und Änderungen denkbar. Ob der Entwurf am Ende des Gesetzgebungsverfahrens auch in seiner jetzigen Form verabschiedet wird, bleibt zum aktuellen Zeitpunkt abzuwarten.

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SanInsKG – hohes Haftungsrisiko für alle Beteiligten!

17. Januar 2023

Am 09.11.2022 trat das SanInsKG in Kraft. Insbesondere wurde damit vor dem Hintergrund der aktuellen Krisensituation auf den Energie- und Rohstoffmärkten vorübergehend der Prognosezeitraum für die Überschuldungsprüfung von zwölf auf vier Monate verkürzt.

In der aktuellen Ausgabe der NZI (NZI 2023, 7-13) zeigt unser Partner Paul Michels gemeinsam mit Torsten Gutmann (Pluta), dass das SanInsKG jedoch nur in ganz bestimmten Fallkonstellationen Anwendung findet. Die Prüfung der Insolvenzeröffnungsgründe bleibt damit anspruchsvoll.

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Inflationsausgleichsprämie ist pfändbar

4. Januar 2023

AG Köln, Beschluss vom 09.12.2022

Das Amtsgericht – Insolvenzgericht – Köln hat sich mit Beschluss vom 09.12.2022 mit der Pfändbarkeit einer Inflationsausgleichsprämie befasst. Der Antrag eines Insolvenzschuldners auf Freigabe dieser Prämie wurde zurückgewiesen.

Inflationsausgleichsprämie

Ab dem 26. Oktober 2022 können Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber ihren Beschäftigten steuer- und abgabenfrei einen Betrag bis zu € 3.000 gewähren. Hierbei handelt es sich um eine freiwillige Leistung der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber.
Nähere Infos unter: www.bundesregierung.de/breg-de/themen/entlastung-fuer-deutschland/inflationsausgleichspraemie

Antrag auf Freigabe

Dem betreffenden Insolvenzschuldner wurde von seinem Arbeitgeber ein Betrag in Höhe von € 1.500,00 als Inflationsausgleichsprämie auf seiner Lohnabrechnung ausgewiesen. Damit erhöhte sich der pfändbare Betrag im Auszahlungsmonat. Diesen führte der Arbeitgeber sodann ordnungsgemäß an die Masse ab. Den Antrag auf Freigabe begründete der Schuldner u.a. damit, dass Inflationsausgleichsprämien genauso unpfändbar seien, wie zuletzt die Corona-Prämien.
Hierbei wurde sich auf das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 25.08.2022 (Az. 8 AZR 14/2022) berufen, welches die Unpfändbarkeit von Corona-Prämien bejahte.

Entscheidung des Gerichts

Das Gericht wies den Antrag des Schuldners zurück. Als Begründung wurde angeführt, dass die Prämie freiwillig von Seiten des Arbeitgebers gezahlt werde und daher eher einer Gehaltserhöhung ähnele. Eine Vergleichbarkeit mit Corona-Prämien sei zudem nicht gegeben:

„Die Unpfändbarkeit der Corona-Prämie wurde durch verschiedene Gerichte bejaht. Dadurch sollten jedoch Erschwernisse während der Arbeit ausgeglichen werden, die durch Corona entstanden sind. Sie ist also vielmehr eine Erschwerniszulage.“

Die Inflationsausgleichsprämie hingegen weise keinen Bezug zur Arbeitsleistung auf, sondern mildere ausschließlich die Belastungen durch die Erhöhung der gestiegenen Lebenshaltungskosten ab. Gesetzliche Ausnahmen zur Pfändbarkeit von Inflationsausgleichsprämien bestünden überdies nicht.

Rechtsfolge

Die Inflationsausgleichsprämien ist hiernach wie Arbeitslohn in den Grenzen des § 850c ZPO grundsätzlich pfändbar. D.h. es gelten die Pfändungsfreigrenzen.

Hier geht es zum Beschluss: Zurückweisungsbeschluss Inflat.Prämie

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ATN Beitrag in der EWiR – Zeitschrift für Wirtschaftsrecht

15. Dezember 2022

Prof. Dr. Neu und Nico Spiecker haben in der 23. Ausgabe der EWiR einen Beitrag zu BFH, Urt. v. 21.4.2022 – V R 18/19 geschrieben (EWiR Seite 720-721).

Im besagten Urteil ging es um folgendes Thema:

Nach § 69 S. 2 InsO hat der Gläubigerausschuss den Geldverkehr und -bestand prüfen zu lassen. Dabei kann er einen sachverständigen Dritten mit der Prüfung beauftragen. Fraglich ist nun, ob die Prüfkosten eine Masseverbindlichkeit darstellen. Diese Frage wurde nun für den Fall, dass der Insolvenzverwalter in die Beauftragung des sachverständigen Dritten eingebunden ist, beantwortet.

Im streitgegenständlichen Fall beabsichtigte der Insolvenzverwalter, einen Vorsteuerabzug aus den ihm in Rechnung gestellten Prüfungsleistungen geltend zu machen. Das zuständige Finanzamt erkannte die Beträge jedoch nicht als Vorsteuern an und setzte dementsprechend die Umsatzsteuern fest. Aus Sicht des Finanzamtes sei der Gläubigerausschuss und nicht die Insolvenzmasse Leistungsempfänger der Prüfungsleistungen gewesen. Der BFH folgte der Auffassung des Finanzamtes nicht und sah die Insolvenzmasse als Leistungsempfängerin an, sodass diese nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG auch zum Abzug der Vorsteuer berechtigt war.

Denn im vorliegenden Fall sei es zu einer Beauftragung des externen Prüfers „durch den Insolvenzverwalter“ gekommen, sodass es sich bei den Prüfkosten folgerichtig um Masseverbindlichkeiten i.S.d. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO handele. Dafür genügte dem BFH bereits, dass der Insolvenzverwalter dem Gläubigerausschuss den Prüfer vorgeschlagen und dem Prüfer anschließend den Beschluss des Gläubigerausschusses über dessen Beauftragung übermittelt hat.

Inwiefern diese Argumentation überzeugt und welche praktische Konsequenzen das Urteil des BFH nach sich zieht, sehen Sie in der aktuellen Ausgabe der EWiR.

 

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Kryptowährungen im Fokus des Strafprozesses

2. Dezember 2022

„Crime must not pay“ – Verbrechen darf sich nicht lohnen

Kryptowährungen werden heute noch immer weitverbreitet als „anonyme“ Zahlungsmittel missverstanden. Die Vorstellung, illegal erworbener Geldwerte im Crypto-Space zu halten, um sie erfolgreich dem staatlichen Zugriff zu entziehen, ist falsch. Ermittlungsbehörden und Rechtsprechung haben das Thema erkannt und werden auch Kryptowährungen bei Straftätern abschöpfen, denn es gilt der Grundsatz: „crime must not pay“ – Verbrechen darf sich nicht lohnen.

Dass Kryptowährungen grundsätzlich auch in Strafprozessen abschöpfbar sind, hat der BGH bereits in seiner Entscheidung vom 11.01.2022 (Az. 3 StR 415/21) gezeigt. Damals bestätigte er die rechtmäßige Einziehung als Tatertrag, bzw. als Surrogat, gemäß § 73 Abs. 1, Abs. 3 StGB. Und dass auch unabhängig von etwaigen Kursschwankungen. Seinerzeit stand fest, dass der Angeklagte die Kryptowährungen unmittelbar durch Drogenverkäufe erwarb. Anders liegt der folgende Fall.
Mit Beschluss vom 22.09.2022 (Az. 3 StR 175/22) hatte der BGH (erneut) über die Einziehung von Kryptowährungen als Taterträge zu entscheiden. Die interessante Entscheidung ist nachzulesen unter:

http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/

Zum Hintergrund:

Der Angeklagte wurde vor dem Landgericht Aurich wegen verschiedener Betäubungsmittel- und Geldwäschedelikten, zu einer hohen Freiheitsstrafe von insg. 13 Jahren verurteilt. Durch diese Taten hat er Einkünfte in Höhe von insgesamt € 1.032.147,49 erzielt, deren Einziehung gemäß §§ 73 Abs. 1, 73c StGB in voller Höhe angeordnet wurde (auf die Investitionen dieses Geldbetrages in andere Wirtschaftsgüter kommt es insoweit nicht an). Zugleich konnten im Rahmen einer Durchsuchung beim Angeklagten auch Kryptowährungen ermittelt werden. Das Landgericht Aurich hat die Einziehung dieser Kryptowährungen als „erweiterte Taterträge“ angeordnet. Hiergegen wandte sich nunmehr der Angeklagte – erfolgreich – mit der Revision.

Einziehungsfähigkeit

Die erweiterte Einziehung richtet sich nach § 73a StGB. Als Objekte der erweiterten Einziehung zählen alle Vermögensgegenstände, die durch eine andere – also nicht von der Anklage umfasste – rechtswidrige Tat erlangt worden sind. Die Herkunftstat darf also nicht mit der im Strafverfahren abzuurteilenden Anknüpfungstat identisch sein.
Die Vorschrift des § 73a StGB ist zudem gegenüber § 73 StGB subsidiär. Eine erweiterte Einziehung von Taterträgen kommt deshalb nur dann in Betracht, wenn eine sichere Zuordnung zu konkreten oder zumindest konkretisierbaren einzelnen Taten ausgeschlossen ist. Der BGH stellte hingegen in Tz. 7 seines Beschlusses eindeutig fest:

„Es wurden Kryptowährungen gesichert, die […] dem Angeklagten zustanden und von ihm mit Geldern erworben worden waren, die aus Betäubungsmittelgeschäften stammten.“

Grundsätzlich einziehbar gemäß §§ 73 Abs. 1, 73c StGB

Der BGH führt an, dass die Kryptowährungen zwar grundsätzlich gemäß §§ 73 Abs. 1, 73c StGB einziehbar seien. Allerdings eben nicht in der Höhe des dafür aufgewendeten Geldes. Da der Angeklagte dieses Geld bereits in voller Höhe an die Staatskasse zu zahlen habe, läge bei gleichzeitigem erweitertem Einzug nach § 73a StGB auch der erworbenen Kryptowährungen eine unzulässige doppelte Abschöpfung vor.

Der BGH hat die Einziehungsanordnung aufgehoben. In Tz. 12 heißt es:

„Wegen der möglichen Wechselwirkung zwischen der Einziehung des Wertes der Taterträge aus den Betäubungsmitteltaten einerseits und der erweiterten Einziehung der Kryptowährungen andererseits sind die Aussprüche insgesamt aufzuheben.“

Die Entscheidung ist nicht überraschend. Der BGH nutzt zudem die Möglichkeit und stellt klar, dass bei erfülltem Geldwäschetatbeständen, die Einziehung nicht über §§ 73 Abs. 1, 73c S. 1 StGB erfolge. Das Gesetz zur Verbesserung der strafrechtlichen Bekämpfung der Geldwäsche vom 9. März 2021 (BGBl. I S. 327 ff.) sei zu zwingend beachten.

Falls die erworbenen Kryptowährungen nämlich (auch) als Mittel zur Geldwäsche verwendet worden seien, hätte sich eine Einziehungsentscheidung nur nach § 74 Abs. 2 StGB, bzw. bei Vereitelungshandlungen nur nach § 74c StGB, zu richten. In diesen Fällen hat der Spruchkörper dann einen Ermessenspielraum, den er auch ordnungsgemäß ausüben muss. Das habe das Landgericht Aurich nicht getan.

Fazit und Ausblick

Der Ausspruch über die Einziehung wurde folglich aufgehoben und zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts Aurich zurückverwiesen.

Die Entscheidung des BGH zeigt einmal mehr, dass Kryptowährungen und deren Einziehung strafprozessual große Bedeutung haben. Der BGH schafft weiter Klarheit für Ermittlungs- und Rechtsprechungspraxis. Kryptowährungen bleiben ihrer Natur nach grundsätzlich über §§ 73 Abs. 1, 73c StGB einziehbar.

Kriminelle Energien sind im Crypto-Space weiterhin keine Seltenheit. Erst kürzlich wurde ein international tätiger Betrügerring von der spanischen Polizei zerschlagen, welcher rund 2,4 Milliarden Euro erbeutet und rund 17.000 Anleger geschädigt haben soll.

https://www.tagesschau.de/wirtschaft/finanzen

Es ist zu erwarten, dass die Ermittlungsbehörden im Crypto-Space weiter massiv Know-How aufbauen und Einsatzkapazitäten ausweiten werden. Die Blockchain-Technologie ist kein anonymes, sondern ein pseudonymes System. Einziehungsanordnungen von Kryptowährungen sind keine Seltenheit mehr. Es bleibt dabei: „Crime must not pay“

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Krisenfolgen­abmilderungsgesetz

28. November 2022

Krise und Reaktionen des Gesetzgebers mit dem SanInsKG

Der bundesdeutsche Gesetzgeber hat erneut auf die aktuelle schwerwiegende Krise mit vorübergehenden Änderungen im Insolvenzrecht reagiert. Unternehmer in dramatischen Zeiten und kritischen Situationen sollen Möglichkeiten haben, mit einem Insolvenzantrag ggf. noch zuzuwarten und ggf. Krise selbst zu lösen.
Die wesentlichen Änderungen durch das sogenannte Sanierungs- und insolvenzrechtliche Krisenfolgenabmilderungsgesetz (SanInsKG) lauten:

  • Verlängerung der Insolvenzantragsfrist bei Überschuldung von derzeit sechs Wochen auf acht Wochen
  • Verkürzung des Prognosezeitraums für die insolvenzrechtliche Überschuldungsprüfung von zwölf Monaten auf vier Monate
  • Reduzierung des Planungshorizonts für den Zugang zur Eigenverwaltung und den (gerichtlichen/außergerichtlichen) Stabilisierungs- und Restrukturierungsverfahren nach dem StaRUG von sechs Monaten auf vier Monate

Wichtig ist der Hinweis, dass der Insolvenzeröffnungsgrund der Zahlungsunfähigkeit nach § 17 InsO NICHT geändert wurde.

Das heißt: Die eingetretene Zahlungsunfähigkeit löst – weiterhin und unverändert – eine Insolvenzantragspflicht mit einer maximalen Bearbeitungs- und Handlungsfrist von drei Wochen aus.

Verlängerte Antragspflicht wegen Überschuldung

Unternehmen, die aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Entwicklung der vergangenen Monate oder Jahre ihr Eigenkapital aufgezehrt haben und daher bilanziell überschuldet sind, müssen nicht zwingend Insolvenzantrag stellen. Sie müssen es nicht, wenn sie eine „eine positive Fortführungsprognose“ haben. Dabei gilt ein Betrachtungszeitraum von – nur noch – vier Monaten, in dem die Fortführungsprognose positiv sein muss.

Ist sie negativ, darf der Unternehmer bzw. GF/Geschäftsleiter nun acht Wochen, also etwa die Hälfte des Prognosezeitraums, lang versuchen, seine „Performance zu verbessern“ und so die Fortführungsprognose auf „positiv“ zu stellen. Danach müsste der Unternehmer bzw. Geschäftsleiter aktiv werden und einen Insolvenzantrag stellen. Unterlässt er das, läuft er Gefahr, wegen „Insolvenzverschleppung“ in Haftung genommen zu werden.

Das neue Gesetz dürfte einigen Unternehmen helfen, u.a., wenn es um die baldige Rückzahlung von – lediglich kreditierten – COVID-Hilfsmitteln geht. Gleichwohl rechnet die Sanierungsbranche ab 2023 mit einem höheren Aufkommen an Insolvenzverfahren. Denn tatsächlich kommt es in der Praxis eher auf die Zahlungs(un)fähigkeit an. Sie war immer schon der bei weitem häufigste tatsächliche Grund und auch Auslöser für gestellte Insolvenzanträge.

In jedem Fall bleibt der Tipp an jeden Unternehmer, die Ertrags- und Liquiditätsplanung ständig aktuell zu halten. Zu raten ist, dass stets eine mindestens zwölfmonatige integrierte Ertrags- und Liquiditätsplanung besteht, was auch dokumentiert wird.

Die Übergangsregelung ist für den „Übergang“. Abzuwarten bleibt die nächste Änderung.

Ferner: Erleichterungen bei Eigenverwaltungsverfahren

Die Neuregelung zur Reduzierung des Planungshorizonts wirkt sich auch auf eigenverwaltende Sanierungsverfahren aus. Der Planungshorizont wird dort von sechs auf vier Monate reduziert. Damit ist der Zugang zu solchen Verfahren erleichtert, und zwar für Verfahren nach der Insolvenzordnung und nach dem StaRUG.

Hintergrund:

Eigenverwaltung und „Schutzschirmverfahren“ sind „echte“ Insolvenzverfahren mit der Option auf Insolvenzgeld der Arbeitnehmer für bis zu drei Monaten. Die Befreiung von den Personalkosten kann relevant für die Planung werden. Beim StaRUG-Verfahren gibt es begriffslogisch kein Insolvenzgeld.

Zusammenfassung und Ausblick

Das SanInsKG bietet Erleichterungen für Unternehmen in Schieflage. Die Energiepreis- und Absatzkrise wird aber auch dadurch nicht gelöst werden können. Es kommt weiter auf die Resilienz und Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen an. Die Neuregelungen werden aber dem fähigen Unternehmer mit grds. funktionierendem Geschäftsmodell vorübergehend helfen können.

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Krypto-assets weiter unter Druck

15. November 2022

Kryptobörse FTX ist zahlungsunfähig und stellt Insolvenzantrag

Zeitweise war die US-Kryptobörse FTX 32 Milliarden Dollar wert, das ist einige Monate her. Parallel zum rheinischen Karneval kommt eine weniger erfreuliche Meldung: Die Kryptobörse FTX ist zahlungsunfähig und geht in das US-Chapter-11- Verfahren. Das drückt die Kryptokurse weltweit und besorgt natürlich die Anleger. Die Rede ist von einem „Lehman-Moment für die Blockchain-Währungen“.

https://www.spiegel.de/wirtschaft/binance-und-ftx-crash-in-kurzen-hosen

Die Schieflage von FTX, einer großen Handelsplattform für Digitalwährungen, soll auf die Tochtergesellschaft Alameda zurückzuführen sein. Jedenfalls verursacht die FTX-Insolvenz Turbulenzen in der gesamten Branche. Vorstandschef Bankman-Fried war ein schillernder Unternehmer. Der 30-jährige war erfolgreicher Wall-Street-Broker. Mit Einleitung des US-Insolvenzverfahrens am 11.11.2022 trat er zurück. Ob der neue Chef John J. Ray III. FTX retten oder gar aus dem Verfahren führen kann, bleibt abzuwarten. Viele Kunden fürchten nun um ihr Geld.

Tatsächlich soll es zu mysteriösen Geldabflüssen gekommen sein. So teilte der Justiziar von Alameda, Ryne Miller, auf Twitter mit, dass „nicht autorisierte Transaktionen“ durchgeführt worden seien. Das Volumen der betroffenen Vermögenswerte und die mutmaßlichen Urheber gab er indes nicht an. Die Nachrichtenagentur Reuters teilte mit, dass mindestens eine Milliarde US-Dollar verschwunden seien. Polizeiliche Ermittlungen werden aktuell von den US-Behörden durchgeführt. Das Ermittlungsergebnis bleibt abzuwarten.

Finanzmärkte stehen nicht erst seit der FTX-Insolvenz unter Druck. Nicht nur in den USA sind Kryptoverwahrer bereits in finanzielle Schieflage geraten. Kunden verlangen mitunter bei Insolvenz ihres Kryptoverwahrers die Ab- oder Aussonderung ihrer Werte. Jedoch dürften im Fall einer Sammelverwahrung aufgrund fehlender Bestimmtheit und Bestimmbarkeit des oder der Kryptowerte(s) in der Regel keine Ab- oder Aussonderungsrechte greifen, jedenfalls, wenn nicht eine fremdnützige Treuhand besteht.

RA Dr. Marc d’Avoine und RA Phil Hamacher behandeln in dem Beitrag

  • Die Insolvenz des Kryptoverwahrers
    Aussonderungsrechte an Kryptowerten?
    ZIP 2022, 2214 ff.

die möglichen Vorrechte des Kunden in der Insolvenz des Kryptoverwahrers und beleuchten die Rechtslage. Die aktuell in Deutschland bestehenden rechtlichen Unsicherheiten in der Insolvenz des Kryptoverwahrers und vor allem die Frage, ob verwahrte Token aussonderungsfähig sind, sollten – nicht nur wegen der dt. Nuri-Insolvenz – im Sinne der MiCA-VO-E gesetzlich geregelt werden. Eine Kodifizierung etwa von Aussonderungsansprüchen auch bei Sammelverwahrung („internal settlements“) wird dem Rechtsverkehr dienen und das Vertrauen in die Finanzbranche stärken.

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Bemessung des Schmerzensgeldes in Arzthaftungsangelegenheiten

9. November 2022

Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung kommt dem Schmerzensgeld rechtlich grundsätzlich eine doppelte Funktion zu. Die sog. Ausgleichsfunktion soll dafür Sorge tragen, dass der Geschädigte einen angemessenen Ausgleich für diejenigen erlittenen Schäden erhält, welche keinen Vermögensschaden darstellen. Darüber hinaus soll die sog. Genugtuungsfunktion dem Gedanken Rechnung tragen, dass der Schädiger dem Geschädigten für das, was er ihm angetan hat, Genugtuung schuldet (vgl. z.B. BGHZ 212, 48).

Nach einem aktuellen Urteil des Bundesgerichtshofs hat auch in Arzthaftungsangelegenheiten bei der Bemessung des Schmerzensgeldes neben dem Gesichtspunkt des Ausgleichs für die erlittenen Schmerzen zudem der Gesichtspunkt der Genugtuung Berücksichtigung zu finden (BGH Urt. v. 08.02.2022 – VI ZR 409/19 – NJW, 2022, 1443). Die Doppelfunktion des Schmerzensgeldes ist demnach auch in Arzthaftungsfällen zu bejahen.

Dem Urteil des Bundesgerichtshofs lag ein Sachverhalt zu Grunde bei dem ein Patient notfallmäßig in einem Krankenhaus eingeliefert wurde. Eine erste Röntgenaufnahme des Thoraxes um 15.07 Uhr ergab den Verdacht, dass mit dem Herzen des Patienten etwas nicht in Ordnung sein könnte. Dies bestätigte sich durch ein anschließend durchgeführtes EKG, welches das Vorliegen eines Herzinfarktes nahelegte. Die Auswertung der zuvor entnommenen Blutprobe lag um 15.37 Uhr vor, sie ergab einen deutlich erhöhten Troponin-Wert. Der Patient wurde im weiteren Verlauf auf die Normalstation verlegt, wo es gegen 16.30 Uhr zu einer kardialen Dekompression und zum Kammerflimmern mit anschließendem Herzstillstand kam. Nach der Reanimation wurde um 18.13 Uhr eine Herzkatheter-Untersuchung begonnen, bei der dem Patienten zwei sog. Stents eingesetzt wurden. Der Patient verstarb am nächsten Morgen gegen 7.30 Uhr nach einem erneuten Herzstillstand. Klägerin im hiesigen Fall war die Witwe des verstorbenen Patienten.

Der Bundesgerichtshof führt in seinem Urteil vom 08.02.2022 aus, dass bei Schmerzensgeldansprüchen zwar regelmäßig der Ausgleichsgedanke und damit die sog. Ausgleichsfunktion im Vordergrund stehe, diese jedoch nicht allein maßgebend für die Höhe des geschuldeten Schmerzensgeldes sein könne. Das alleinige Abstellen auf den Ausgleichsgedanken sei unmöglich, weil sich sog. immaterielle Schäden nicht und Ausgleichsmöglichkeiten nur beschränkt in Geld ausdrücken ließen. Obwohl bei der ärztlichen Behandlung das Bestreben der Behandlungsseite im Vordergrund stehe, dem Patienten zu helfen und ihn von seinen Beschwerden zu befreien, stelle es für die Frage der Bemessung des Schmerzendgeldes einen wesentlichen Unterschied dar, ob dem Arzt grobes Verschulden zur Last falle, oder ob ihn nur ein geringer Schuldvorwurf träfe. Daher sei auch zu berücksichtigen, ob dem behandelnden Arzt grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen sei. Da dies in den Vorinstanzen nicht hinreichend ausermittelt worden sei, verwies der Bundesgerichtshof die Sache zur neuen Verhandlung an die Vorinstanz zurück.

Obwohl die behandelnden Ärzte bei den von Ihnen durchgeführten Behandlungen vom medizinischen Grundsatz geleitet werden, dem Patienten zu helfen und ihn von seinen Beschwerden zu befreien oder – wo dies nicht möglich ist – die Beschwerden zumindest zu lindern, ist nach dem dargelegten Urteil des Bundesgerichtshofs im Falle des Vorliegens eines Behandlungsfehlers bei der Bemessung des Schmerzensgeldes zu prüfen, ob dem behandelnden Arzt im Zusammenhang mit dem Behandlungsfehler grob fahrlässiges oder sogar vorsätzliches Handeln vorzuwerfen ist.

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ATN Beitrag in der ZIP – Zeitschrift für Wirtschaftsrecht

3. November 2022

Marc d’Avoine und Phil Hamacher sind mit einem Aufsatz zum Thema „Insolvenz des Kryptoverwahrers“ in der aktuellen Ausgabe der ZIP

Die 44. Ausgabe der Zeitschrift für Wirtschaftsrecht erscheint Freitag den 04.11.2022.

Die Finanzmärkte stehen unter Druck – und auch Kryptoverwahrern kann die finanzielle Schieflage drohen. Mit der Folge, dass bei der Insolvenz eines Kryptoverwahrers seine Kunden die Aussonderung ihrer Werte verlangen.

Weil jedoch in der Regel die Bestimmbarkeit der Kryptowerte fehlt, dürften hier keine Aussonderungsrechte greifen – es sei denn, es bestünde eine fremdnützige Treuhand.

Zwischen beiden beteiligten Parteien wird wohl Einigkeit darüber bestehen, dass nur der Krypto-User eine eigentümerähnliche Stellung einnehmen soll. Im Falle einer Insolvenz des Kryptoverwahrers ist der Krypto-User deshalb der Gläubiger mit Ansprüchen im Rang des § 38 InsO – deren Werthaltigkeit ist allerdings zunächst offen und stellt sich erst im Lauf des konkreten Verfahrens ein.

Auf diese Diskrepanz sollte der deutsche Gesetzgeber reagieren. Eine Kodifizierung etwa von Aussonderungsansprüchen, insbesondere bei Kryptowerten, die in Sammelverwahrung gehaltenen werden, wird letztlich dem Rechtsverkehr dienen und das Vertrauen in die Finanzbranche stärken.

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