Ist ChatGPT Plus steuerlich absetzbar?

20. November 2023

Der Name ChatGPT ist inzwischen vielen bekannt. Dahinter steckt ein sog. „Large Language Modul“ (auch LLM). Das ist ein Programm, was künstliche Intelligenz einsetzt, um mit Nutzern über textbasierte Nachrichten zu kommunizieren (stark vereinfacht).

GPT steht für Generative Pre-trained Transformer.[1] Neben ChatGPT gibt es inzwischen auch alternative Anbieter wie Bing, DeepAI, Elicit, Genie Chat, etc. Diese sind weitestgehend – wie auch das reguläre ChatGPT – kostenlos.[2] Das kostenpflichtige Abonnement heißt ChatGPT Plus und kostet monatlich $ 20[3], also pro Jahr $ 240. Die Vorteile zur kostenfreien Variante sind nach Angaben des Entwicklers bessere Verfügbarkeit, schnellere Verarbeitung, Spracherkennung, etc.[4] Die Einsatzmöglichkeiten können – auch bei der täglichen Arbeit – sehr vielseitig sein.

Abzug als Werbungskosten?

Da drängt sich die Frage auf, ob Arbeitnehmer/innen diese und ggf. auch andere Kosten für derartige Programme, als Werbungskosten steuerlich absetzen können. Dafür sollte zunächst einmal geklärt werden, was Werbungskosten überhaupt sind. Definiert werden diese in § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG:

„Werbungskosten sind Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen.“

Die Begriffe „Erwerbung, Sicherung, Erhaltung“ lassen sich nicht immer genau voneinander trennen. Sie kennzeichnen lediglich übereinstimmend, dass die Aufwendungen „zur“ Einnahmeerzielung dienen müssen. Dabei ist allgemein anerkannt, dass das „und“ auch durch ein „oder“ ersetzt werden könnte; es reicht also aus, wenn die genannten Begriffe alternativ vorliegen.

Klartext: Zu den Werbungskosten gehören alle Aufwendungen, die als Arbeitnehmer/In ausgegeben werden, um Geld zu verdienen. Dazu gehören ganz klassisch Kosten für Bewerbungsfotos oder Fortbildungen. Wichtig dabei ist, dass die jeweiligen Arbeitnehmer/Innen diese auch getragen und nicht z.B. (steuerfrei) ersetzt bekommen haben.

ChatGPT Plus als Arbeitsmittel

Werbungskosten sind auch Aufwendungen für Arbeitsmittel, zum Beispiel für Werkzeuge und typische Berufskleidung, § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 6 EStG. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) sind Arbeitsmittel alle – auch immaterielle – Gegenstände, die ausschließl. oder zumindest weitaus überwiegend der Einnahmeerzielung dienen[5]. Also grundsätzlich auch kostenpflichtige Programme, welche über ein Abo wie ChatGPT Plus genutzt werden, soweit diese bei der Bewältigung der alltäglichen Arbeit unterstützen. Dann läge ein Zusammenhang mit der Einnahmeerzielung vor.

Einsatzmöglichkeiten als Arbeitnehmer

Das Einsatzspektrum von LLM sind derart umfangreich, dass eine vollständige Darstellung kaum möglich ist. Der Kreativität ist wahrlich keine Grenze gesetzt. Ob interne E-Mails vorformuliert, Schreiben erstellt, Werbebriefe entworfen oder stichwortartige Zusammenfassungen umfassender Korrespondenz. Inzwischen können sogar ganze Bücher mittels künstlicher Intelligenz geschrieben[6] oder auf Anleitung, Bilder und Images erstellt werden.

Möglich sind auch Übersetzungen in andere Sprachen oder erste rechtliche Einschätzungen. In den Fällen bleibt die Qualität der Antworten stets durch Experten zu überprüfen. Aber erste Vorarbeiten können Programme wie ChatGPT inzwischen relativ gut leisten.

Ob der Einsatz von LLM aber tatsächlich eine Bereicherung ist, bleibt stets im konkreten Einzelfall zu überprüfen. Bei vielen Bürotätigkeiten dürfte der Einsatz von LLM tatsächlich schon jetzt Erleichterungen bringen und die Effektivität steigern. Dann müsste auch die steuerliche Berücksichtigung als Werbungskosten gegeben sein.

Dual-Use

Aber Achtung: Voraussetzung für eine volle Absetzbarkeit ist eine ausschließliche oder zumindest weitaus überwiegend Verwendung für die Einnahmeerzielung. Das bestimmt sich nach dem tatsächlichen Verwendungszweck (bzw. die beabsichtigte tatsächl. Verwendung).[7] Wird ein Gegenstand für berufliche und für private Zwecke verwendet, spricht man von sog. „Dual-Use“.

Wird das Programm also angeschafft, um z.B. auch für private Belange, z.B. E-Mails an Freunde und Bekannte, Vereinsarbeit, Ehrenämter, etc., zu verrichten, kann die Absetzung insoweit nicht vorgenommen werden.

Die Zuordnung bereitet üblicherweise dann keine Probleme, wenn schon aus dem objektiven Charakter des Gegenstands (z. B. bei Werkzeug) dessen Bezug zur Erwerbstätigkeit deutlich wird; in diesem Falle spräche eine Vermutung für die erwerbsbezogene Verwendung. Vertretbar wäre aber, dass diese Vermutung bei einem LLM gerade nicht greift, da die theoretischen Einsatzmöglichkeiten derart umfangreich sind, dass ein Einsatz ohne Weiteres auch im Privatleben Vorteile haben kann.

In Dual-Use-Fällen kann eine Aufteilung (z.B. 50/50) in Betracht kommen. Erst wenn im Einzelfall gar nicht nachprüfbar oder nicht klar erkennbar ist, ob der Gegenstand mehr der Erwerbstätigkeit oder mehr der privaten Lebensführung dient, kann dessen objektiver Charakter den Ausschlag geben. Ob ChatGPT Plus dann dem beruflichen oder privaten Bereich zuzuordnen wäre, ist dann eine Frage der Tatsachenwürdigung durch die Finanzverwaltung oder das Finanzgericht.[8]

Arbeitnehmer-Pauschbetrag

Ein Hinweis zum „Arbeitnehmer-Pauschbetrag“. Dieser wird bereits beim Lohnsteuerabzug berücksichtigt und beträgt im Jahr 2023 € 1.230. Allein mit den jährlichen Kosten für z.B. ChatGPT Plus in Höhe von $ 240,00[9] würde der Pauschbetrag daher nicht überstiegen werden. In dem Fall kann in der Anlage N der Steuererklärung darauf verzichtet werden, diese als einzelne Ausgaben einzutragen. Der Pauschbetrag dient gerade der Vereinfachung.

Üblicherweise haben Arbeitnehmer/innen aber auch noch weitere Aufwendungen, die als Werbungskosten abgesetzt werden können. Wird der Pauschbetrag insgesamt überstiegen, ist auch die Absetzbarkeit von Kosten für z.B. ChatGPT Plus wieder interessant.

Datenschutz

Ob der Einsatz mit der Arbeitgeber/In abgesprochen werden sollte und insb. welche datenschutzrechtlichen Probleme mit der Verwendung von z.B. Kundendaten einhergehen, ist hier nicht näher behandelt. Nur so viel: Auf die Verwendung von sensiblen Daten (Klarnamen, Anschriften, Geburtsdaten, etc.) sollte in jedem Fall verzichtet werden.

Selbstständige: Berücksichtigung als Betriebsausgaben

Übrigens: Sollten Gewerbetreibende oder Freiberufler ChatGPT Plus im Rahmen ihres Betriebs nutzen, dann gilt nicht der Werbungskostenabzug, sondern die Regelung über Betriebsausgaben gemäß § 4 Abs. 4 EStG:

„Betriebsausgaben sind die Aufwendungen, die durch den Betrieb veranlasst sind.“

Maßgeblich ist die betriebliche Veranlassung. Für den Begriff der Betriebsausgaben kommt es dann nicht darauf an, ob die Aufwendungen für den Betrieb des Steuerpflichtigen notwendig, zweckmäßig oder üblich waren. Im Gegenzug bestehen gerade für Betriebsausgaben eine Vielzahl von (Einzel-) Aufzeichnungspflichten.

Fazit

LLMs und die damit verbundene künstliche Intelligenz hat Eingang in die Arbeitswelt gefunden und ist inzwischen bei einigen Arbeitnehmer/Innen fester Bestandteil des beruflichen Alltags. Bei Vorliegen der Voraussetzungen sprechen keine Gründe dagegen, Kosten für die Nutzung dieser oder anderer Programme als Werbungskosten in Abzug zu bringen. Das bedeutet einen steuerlichen Vorteil.

Bei Zweifeln empfiehlt aber auch ChatGPT „mit einem Steuerberater oder einem Fachmann für Steuerfragen zu sprechen, um eine genaue Einschätzung zu erhalten, ob die monatlichen Kosten von ChatGPT als Werbungskosten absetzbar sind.“[10]

[1] zu deutsch: „Generativ vortrainierter Transformer“.

[2] abrufbar unter: https://openai.com/blog/chatgpt (zuletzt aufgerufen: 19.11.2023)

[3] Stand 19.11.2023. Preiserhöhungen sind in Zukunft nicht auszuschließen.

[4] https://openai.com/gpt-4 (zuletzt aufgerufen: 19.11.2023).

[5] BFH Urteil v. 30.6.10, Az. VI R 45/09, Tz. 10 f.; BFH Urteil v. 20.5.10, Az. VI R 53/09, Tz. 9 f.; BFH Urteil v. 16.1.19, Az. VI R 24/16, Tz. 11.

[6] Pierre Daniel Wittmann: Emma und ihre Reise durch die digitale Welt, Quelle: https://www.amazon.de/Emma-ihre-Reise-durch-digitale-ebook/dp/B0CFT24Y4V/ref=sr_1_1?crid=2SFXBIHZ58ZO5&keywords=emma+und+ihre+reise+durch+die+digitale+welt&qid=1700131143&sprefix=emma+und+ihre+re%2Caps%2C129&sr=8-1 (zuletzt aufgerufen am 19.11.23)

[7] BFH Urteil v. 20.5.10, Az. VI R 53/09, Tz. 10 f.

[8] BFH Urteil v. 10.7.12, Az. VI B 75/12.

[9] umgerechnet ca. € 220,00 (Stand: 19.11.2023)

[10] Teil der Antwort auf die Frage: Sind Kosten für ChatGPT steuerlich als Werbungskosten absetzbar? (Stand 19.11.2023)

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Pressemitteilung vom 18.10.2023, dpi Türdesign GmbH

24. Oktober 2023

dpi Türdesign plant umfassende Sanierung in Eigenverwaltung

Die Geschäftsleitung der dpi Türdesign GmbH aus Wesel beantragte am 17.10.2023 beim Amtsgericht Duisburg die Eigenverwaltung. Mit Beschluss vom 18.10.2023 wurde die vorläufige Eigenverwaltung angeordnet (§ 270b InsO) und der sanierungserfahrene Rechtsanwalt Dr. Henneke, tätig für Henneke & Röpke Rechtsanwälte in Duisburg, zum vorläufigen Sachwalter bestellt. Er überwacht die dpi Türdesign GmbH im gesamten Eigenverwaltungsverfahren und wahrt die Interessen der Gläubiger. Martin Dettmer als Geschäftsführer wird durch das Team um die Sanierungs- und Restrukturierungsexperten Prof. Dr. Peter Neu und Thorsten Kapitza aus der Kanzlei ATN d’Avoine Teubler Neu Rechtsanwälte beraten. „Durch das Eigenverwaltungsverfahren ist eine nachhaltige Sanierung des Unternehmens möglich. Die Geschäftsführung bleibt für die Leitung des Unternehmens zuständig und kann so weiter ihr Know-how einbringen. Gleichzeitig wird die Geschäftsführung von uns bei der Planung und Umsetzung von Sanierungsmaßnahmen unterstützt“, führt Rechtsanwalt Prof. Dr. Neu aus. Andreas Krogull  wird die Umstrukturierung als Vertriebs- und Marketingleiter begleiten und ist nicht mehr Geschäftsführer.

Unternehmen soll erhalten bleiben / Löhne und Gehälter sind gesichert

Das Unternehmen wird uneingeschränkt fortgeführt. Ziel der Bemühungen ist der dauerhafte Erhalt, sei es mittels Insolvenzplan oder Verkauf an einen Investor. Es wurden bereits konkrete Maßnahmen erarbeitet, deren Umsetzung teilweise bereits begonnen haben. Betriebswirtschaftlich und planerisch unterstützt wird das Unternehmen durch die TMC Turnaround Management Consult GmbH. Die dpi Türdesign GmbH beschäftigt derzeit ca. 150 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die Löhne und Gehälter der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind für den Zeitraum Oktober bis Dezember 2023 über Insolvenzgeld gesichert. Ab Januar 2024 werden diese wieder aus den laufenden Einnahmen geleistet. Die Belegschaft ist informiert worden und trägt durch ihr Engagement einen wesentlichen Beitrag zur Sanierungslösung bei.

Mehrfach-Krisen fordern Tribut

Durch die Hochwasserkatastrophe in der Eifel im Jahr 2021 wurde das Isolierglaswerk der dpi komplett zerstört. Der unmittelbare Schaden belief sich auf 12 Millionen Euro und führte nachfolgend zu Kundenverlusten aufgrund der temporären Fremdbeschaffung der Isoliergläser. Für ein neues Glaswerk am Standort Wesel wurde eine Summe von 6 Millionen Euro investiert – seit September 2023 wird das neue Isolierglaswerk sukzessive in Betrieb genommen. In der Konsequenz führten diese Ereignisse dazu, dass die finanziellen Mittel der dpi weitgehend aufgebraucht wurden. Die zusätzlich seit Beginn 2023 einsetzende Krise im Bausektor mit stark sinkenden Auftragseingängen stellen insgesamt Herausforderungen dar, die nur mit Hilfe der Sanierungsgesetze zu lösen sind.

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BAG: Aufgabenverteilung im Konzernverbund als Kündigungsgrund

18. September 2023

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat mit seinem Urteil vom 28.02.2023, 2 AZR 227/22, bestätigt, dass die betriebsbedingte Kündigung eines Arbeitsverhältnisses damit begründet werden kann, dass Aufgaben, die bislang vom gekündigten Arbeitnehmer wahrgenommen wurden, künftig auf ein anderes Konzernunternehmen übertragen werden und deshalb Beschäftigungsbedarf im Betrieb entfällt. Bei der Fremdvergabe von Aufgaben komme es – so das Bundesarbeitsgericht – nicht darauf an, ob dadurch Kosten gespart werden. Diese Rechtsprechung führt auf Arbeitnehmerseite zu der Befürchtung, dass Konzernstrukturen missbraucht werden könnten, um Kündigungsgründe zu schaffen oder gar vorzuspiegeln. Hierdurch könnten dann missliebige Beschäftigte einfacher gekündigt werden. Auf Arbeitgeberseite stellt sich die Frage, ob das Bundesarbeitsgericht hier tatsächlich einen Freibrief ausgestellt hat, der es Konzernen ermöglicht, Arbeitsplätze „verschwinden“ zu lassen.

Tatsächlich muss diese Rechtsprechung differenziert und in ihrem tatsächlichen und rechtlichen Zusammenhang gesehen werden:

Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts beschreibt den Zusammenhang zwischen betriebsbedingter Kündigung und unternehmerischer Organisationsentscheidung. Sie ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass der Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz (KSchG) an den Betrieb und teilweise noch an das Unternehmen gebunden ist. Konzernbezogenen Kündigungsschutz aber gibt es nach dem Gesetz nicht. Nur, wenn im Arbeitsvertrag ein konzernweiter Versetzungsvorbehalt enthalten ist und der (Vertrags-)Arbeitgeber die Rechtsmacht hat, diesen auch im Konzern durchzusetzen, können Beschäftigte sich mit Aussicht auf Erfolg auf freie Arbeitsplätze in Konzernunternehmen berufen.

Solange das nicht der Fall ist, können Arbeitgeber grundsätzlich frei entscheiden, Aufgaben auf Konzernunternehmen zu verlagern und Arbeitsplätze im eigenen Unternehmen abzubauen. Das muss am Ende nicht einmal zu Kündigungen führen, weil es sein kann, dass die unterschiedlichen Konzernunternehmen einen gemeinsamen Betrieb bilden. Das ist zum Beispiel der Fall bei rechtlich verselbstständigten Serviceabteilungen. In diesem Fall kann sich der Übergang von Aufgaben auf ein Konzernunternehmen als Teilbetriebsübergang im Sinne des § 613a BGB darstellen. Folge ist, dass die Arbeitsplätze der betroffenen Beschäftigten mit allen Rechten und Pflichten ohne Kündigung auf die neu zuständige Konzerngesellschaft übergehen.

Gleich, ob Sie als Arbeitgeber erwägen, Aufgaben auszulagern, ob Sie als Arbeitnehmer oder Arbeitnehmerin von einer Verlagerung betroffen sind oder ob Sie sich als Betriebsrat oder Personalvertretung positionieren müssen: ATN Rechtsanwälte verfügen über langjährige Erfahrung im Zusammenhang mit betriebsbedingten Kündigungen, Umstrukturierungen und Aufgabenübertragungen. Wir helfen Ihnen, wenn es darum geht, die Chancen und Risiken von Verlagerungen innerhalb oder außerhalb von Konzernen zu bewerten und sich bestmöglich zu positionieren. Gleich, ob im Arbeitsrecht oder im Gesellschaftsrecht.

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Pfändbarkeit von Kündigungsabfindungen

13. September 2023

Beschluss Landgericht Kassel vom 12.06.2023 – 3 T 276/22 

Das Landgericht Kassel hat sich mit der Frage auseinandergesetzt, ob ein Abfindungsanspruch während der Wohlverhaltensphase vom Treuhänder pfändbar ist oder ob der Schuldner ein berechtigtes Interesse am Behalten aufweisen kann. 

Sachverhalt

Auf Eigenantrag des Beschwerdeführers und Schuldners vom 19.06.2018 eröffnete das Amtsgericht – Insolvenzgericht – Eschwege mit Beschluss vom 11.07.2018 das Verbraucherinsolvenzverfahren über das Vermögen des Beschwerdeführers und bestellte einen Insolvenzverwalter. Mit Beschluss vom 14.02.2020 wurde das Verfahren aufgehoben, da die Schlussverteilung vollzogen war. Der Beschwerdeführer befindet sich nunmehr im Restschuldbefreiungsverfahren bzw. der Wohlverhaltensphase. Die pfändbaren Forderungen auf Bezüge aus seinem Arbeits- oder Dienstverhältnis sind an den Treuhänder abgetreten (§ 287 Abs. 2 InsO).

Mit Schutzantrag vom 26.05.2021 beantragte der Beschwerdeführer, eine Kündigungsabfindung von ca. 60.000,00 € aus einem arbeitsgerichtlichen Vergleichsvorschlag in voller Höhe, hilfsweise in Höhe eines angemessenen Betrages aus dem Insolvenzverfahren herauszuhalten bzw. pfändungsfrei zu stellen bzw. ihm so viel zu belassen, als ihm nach freier Schätzung des Gerichts verbleiben würde, wenn sein Einkommen aus laufendem Arbeits- und Dienstlohn bestehen würde. Hintergrund war ein Kündigungsrechtsstreit vor dem Arbeitsgericht Kassel. Am 21.07.2021 schloss der Beschwerdeführer mit seinem früheren Arbeitgeber einen gerichtlichen Vergleich, wonach das bestehende Arbeitsverhältnis mit Ablauf des 31.07.2021 endete. Als Abfindung einigte man sich auf einen Betrag i.H.v. 70.000,00 € brutto. Von diesem Vergleichsschluss wurde das Insolvenzgericht mit Schreiben des Verfahrensbevollmächtigten des Beschwerdeführers vom 08.09.2021 informiert. Der Beschwerdeführer, der am 10.05.1971 geboren wurde, ist verheiratet und seiner Ehefrau zum Unterhalt verpflichtet. Er hat keine abgeschlossene Berufsausbildung. Zum 26.07.2021 begründete der Beschwerdeführer ein neues Arbeitsverhältnis. Er befand sich seitdem bis zum Ablauf des Monats April 2023 in einem befristeten Arbeitsverhältnis. Eine Verlängerung erfolgte danach nicht mehr. Der Beschwerdeführer ist seit dem 01.05.2023 arbeitslos. Mit Beschluss vom 29.04.2022 hat das Amtsgericht Eschwege den Antrag des Beschwerdeführers auf Freigabe des Abfindungsbetrages zurückgewiesen.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers. Der Beschwerdeführer wendet ein, dass das Amtsgericht gar keine Abwägung vorgenommen und das Ermessen nicht ausgeübt habe. Insbesondere habe das Amtsgericht nicht berücksichtigt, dass sich der Beschwerdeführer 21 Jahre im Betrieb hochgearbeitet und einen erheblichen Bestandsschutz genossen habe. Die streitgegenständliche Abfindung habe dem Ausgleich des Bestandsschutzes gedient. Er habe hierdurch vor allem eine Entschädigung für den Verlust einer langjährigen Beschäftigung erhalten. Diese Abfindung habe nicht dazu dienen sollen, bis zum Antritt einer neuen Arbeitsstelle liquiden Zufluss zu sichern, sondern selbst bei Antritt einer neuen Stelle, den Nachteil des verlorenen Bestandsschutzes, den er in der bisherigen Einstellung genossen habe, auszugleichen. Auch die (ursprünglich) vorgesehene Befristung des neuen Arbeitsverhältnisses bis zum 26.07.2022 bedeute für den Beschwerdeführer eine Ungewissheit, der mit der Auszahlung der Abfindung zu begegnen sei.

Mit Beschluss vom 21.06.2022 hat das Amtsgericht Eschwege der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und die Akten dem Landgericht zur Entscheidung vorgelegt.

Die Entscheidung des Landgerichts Kassel

Zu der Vorschrift des § 287 Abs. 2 Satz 1 InsO wurde nach Ansicht des Landgerichts Kassel erstinstanzlich zutreffend ausgeführt, dass die einmalige Abfindung anlässlich des Ausscheidens aus dem Arbeitsverhältnis von der Abtretung der „Bezüge aus einem Arbeits- oder Dienstverhältnis“ erfasst werde, weil ansonsten die während der Wohlverhaltensphase vorgesehene Bedienung der Gläubiger aus den pfändbaren Arbeitseinkünften des Schuldners leicht zu umgehen wäre (vgl. BGH, Urt. v. 11.05.2010 – IX ZR 139/09).

Die Vorschriften der §§ 850 ff ZPO finden daher Anwendung, so die Kasseler Richter. Konkret unterfällt die verfahrensgegenständliche Kündigungsabfindung dem Anwendungsbereich des § 850i Abs. 1 ZPO. Hiernach ist dem Schuldner während eines angemessenen Zeitraums so viel zu belassen, als ihm verbleiben würde, wenn sein Einkommen aus laufendem Arbeits- oder Dienstlohn bestünde. Zweck des § 850i ZPO ist die Gleichbehandlung aller Einkunftsarten des Schuldners. Zu belassen ist ihm daher so viel, als ihm nach freier Schätzung des Gerichts bei einem Einkommen aus laufendem Arbeits- oder Dienstlohn verbleiben würde, was sich nach den §§ 850 ff. ZPO, d. h. unter anderem bei der Vollstreckung von gewöhnlichen Geldforderungen nach § 850c ZPO bestimmt (LG Wuppertal, Beschl. v. 15.01.2019 – 16 T 235/17; LG Bochum, Beschl. v. 18.08.2010 – I-7 T 433/0 9,7 T 433/09). Es kommt nicht darauf an, wofür die Abfindungszahlung geleistet worden ist; es ist also nicht entscheidend, ob die Abfindungszahlung die lange Betriebszugehörigkeit des Beschwerdeführers widerspiegeln soll. Davon abgesehen gehört eine Kündigungsabfindung – wie die vorliegende – zu den Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis, weil sie gerade wegen seiner Beendigung vom Arbeitgeber gezahlt wird; sie dient – wie sonstige Geldleistungen des Arbeitgebers aus dem Arbeitsverhältnis – der Sicherung des Lebensunterhalts des Arbeitnehmers und seiner Familie (vgl. BAG, Urt. v. 13.11.1991 – 4 AZR 39/91) und soll regelmäßig einen Ausgleich für den Verlust des Arbeitsplatzes und des verlorenen sozialen Besitzstandes darstellen (vgl. BGH, Urt. v. 11.05.2010 – IX ZR 139/09).

Auch die Länge des angemessenen Bezugszeitraums, den das Gericht im Falle einer Abfindungszahlung im Rahmen des § 850i Abs. 1 ZPO zu Grunde legen muss, hängt im Wesentlichen davon ab, wann der Schuldner mit weiteren Einkünften rechnen kann, um seinen und den Unterhalt seiner Familie zu bestreiten (LG Wuppertal, Beschl. v. 15.01.2019 – 16 T 235/17). Es ist durch das Gericht also regelmäßig derjenige Zeitraum zugrunde zu legen, nach dem voraussichtlich mit einer Wiederaufnahme einer Erwerbstätigkeit zu rechnen ist. Vorliegend hat der Beschwerdeführer jedoch – wie bereits das Amtsgericht zurecht ausgeführt hat – noch während der Kündigungslaufzeit ein neues Arbeitsverhältnis mit einem gleichwertigen Verdienst begründet. Es lag bei ihm also keine Arbeitslosigkeit oder ein Einkommensverlust vor, nachdem er mit seinem vormaligen Arbeitgeber den Vergleich geschlossen und die Abfindungszahlung erhalten hat. Aus diesem Grunde war in diesem Zusammenhang und im Rahmen dieser Beschwerdeentscheidung nicht mehr zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer nunmehr, also zwei Jahre später, arbeitslos ist.

Fazit

Die Entscheidung des Landgerichts Kassel verdeutlicht, dass der Schuldner auch während der Wohlverhaltensphase deutlich weitreichendere Pflichten hat, als lediglich seine pfändbaren Lohnanteile abzuführen. Auch unterstreicht der Beschluss, dass eine arbeitsrechtliche Abfindung unter insolvenzrechtlicher Betrachtung wie eine Gehaltszahlung gewertet werden kann. Ein Arbeitnehmer, der eine Abfindung aufgrund des Ausscheidens aus dem Unternehmen erhält, ist mithin nicht schutzwürdiger als derjenige, der weiterhin als Arbeitnehmer beschäftigt ist und sein monatliches Arbeitsentgelt erhält. Andererseits bedeutet dies auch, dass es für den Schuldner in der Wohlverhaltensphase kaum noch Anreize gibt, eine hohe Abfindung zu erstreiten, wenn er unmittelbar nach seinem Ausscheiden eine neue Anstellung beginnt.

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ChatGPT in der Insolvenzverwalterpraxis

12. September 2023

„ChatGPT“ und andere KI-Chatbots sind derzeit Gegenstand vieler Veranstaltungen und Diskussionen. Solche Computerprogramme erlauben es den Anwendern, mit der „KI“ einen menschenähnlichen Dialog zu führen. Auf diese Weise kann man vom Chatbot Texte erstellen, über- und verarbeiten lassen.

In Zeiten von massivem Fachkräftemangel beschäftigen sich inzwischen auch in Deutschland immer mehr Anwaltskanzleien mit entsprechenden Anwendungen. In ersten Fortbildungsveranstaltungen wird bereits demonstriert, wie mit Anwendungen wie ChatGPT 4.0, Bing oder BARD ganze Schriftsatzentwürfe und dazu korrespondierende Mandantenanschreiben erstellt werden können. Auch die Justiz selbst beschäftigt sich in verschiedenen Projekten auf Länderebene mit diesen Technologien, dabei vorwiegend in Bereichen, in denen Massenverfahren, wie z.B. Diesel- oder Fluggastprozesse, bearbeitet werden müssen. Zwar verweisen die zuständigen Vertreter der Justiz dabei ausdrücklich auf den sich aus dem Grundgesetz ergebenden „Menschenvorbehalt“ für Richter und die Notwendigkeit des Erhalts der richterlichen Unabhängigkeit.Die Tatsache der Befassung der Justiz mit diesen KI-Anwendungen an sich zeigt aber, dass diese sich ein Übergehen angesichts der wachsenden Verfahrensmenge schlicht nicht leisten kann.

Ähnliche Zwänge zeigen sich in der Praxis der Insolvenzverwalterbüros. Auch diese haben derzeit mit steigenden Verfahrensanzahlen und wachsender Personalknappheit zu kämpfen. Ein Großteil der Arbeit im Berichtswesen ist aber beschreibender und analysierender Art. Anwendungen wie Ask-your-pdf können die Bearbeitung mit KI-Programmen in diesen Bereichen erheblich vereinfachen und beschleunigen. Dies betrifft aber nur den beschreibenden Teil der Arbeit, denn KI-Bots sind nicht in der Lage, eigene einzelfallbezogene und sachgerechte Entscheidungen zu treffen, die die menschliche Bearbeitung ersetzen könnten. Solche Entscheidungen machen zwar den wichtigsten, aber auch nur einen kleinen Teil der Insolvenzverwalterpraxis aus. Offen sind allerdings noch diverse Rechtsfragen, z.B. arbeits-, datenschutz- und urheberrechtlicher Art. Letztere führen dazu, dass die verschiedenen KI-Chatbots derzeit zu Übungszwecken nur auf einen kleinen Teil der verfügbaren Gerichtsurteile zugreifen können.

Tatsächlich könnten die Systeme in der juristischen Bearbeitung schon deutlich „besser“ sein. Dies erfordert aber eben die Klärung offener Rechtsfragen. Auch vor dem Hintergrund fanden zuletzt auf EU-Ebene Gespräche über den künftigen Rechtsrahmen für die KI-Technologie statt. Dies ist zu begrüßen, denn die Entwicklung lässt sich ohnehin nicht aufhalten. Sicher ist indes, dass sich die anwaltliche, aber insbesondere auch die insolvenzrechtliche Bearbeitungspraxis in naher Zukunft massiv ändern wird – und vielleicht auch muss.

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Kündigung wegen Äußerungen in einer Chatgruppe: Was Arbeitgeber und Beschäftigte wissen müssen

7. September 2023

 

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat am 24. August 2023 unter dem Aktenzeichen 2 AZR 17/23 eine wichtige Entscheidung zum Thema Kündigung wegen Äußerungen in einer Chatgruppe getroffen. Dabei ging es um einen Arbeitnehmer, der sich in einer privaten Chatgruppe mit sechs anderen Kollegen in stark beleidigender, rassistischer, sexistischer und zu Gewalt aufstachelnder Weise über Vorgesetzte und andere Kollegen geäußert hatte. Die Chatgruppe war von einem der Mitglieder gegründet worden, um sich über die Arbeitsbedingungen auszutauschen. Der Arbeitgeber erfuhr von den Äußerungen durch einen anonymen Hinweis und kündigte dem Arbeitnehmer fristlos.

Das Arbeitsgericht Hannover und das Landesarbeitsgericht Niedersachsen gaben der Kündigungsschutzklage des Arbeitnehmers statt. Sie meinten, dass die Äußerungen zwar grob verletzend und strafrechtlich relevant seien, aber nicht den Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdeten. Sie beriefen sich auf den Schutz der Vertraulichkeit in einer privaten Chatgruppe, die nur aus einem kleinen Kreis von Arbeitnehmern bestand, die sich gegenseitig kannten und vertrauten. Der gekündigte Arbeitnehmer hätte darauf vertrauen dürfen, dass die Äußerungen den Kreis der Mitglieder der Gruppe nicht verlassen würden.

Das Bundesarbeitsgericht hob diese Urteile auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurück. Es stellte klar, dass die Äußerungen des Arbeitnehmers an sich einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung darstellten, da sie das Ansehen und den Betriebsfrieden des Arbeitgebers erheblich beeinträchtigten. Es wies darauf hin, dass die Vertraulichkeit in einer Chatgruppe nicht absolut sei, sondern von den Umständen des Einzelfalls abhänge. Es sei zu berücksichtigen, wie viele Personen an der Chatgruppe beteiligt seien, wie eng die Beziehung zwischen ihnen sei, wie sicher die Kommunikation vor dem Zugriff Dritter geschützt sei und wie schwerwiegend die Äußerungen seien. Erst nach einer Feststellung dieser Variablen und einer daran anschließenden Wertung könne festgestellt werden, ob im Einzelfall die Kündigung wirksam sei oder das Bestandsinteresse des Arbeitnehmers überwiege.

Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts kann weitreichende Folgen für Arbeitgeber und Beschäftigte haben. Sie zeigt, dass auch vermeintlich private Äußerungen in einer Chatgruppe zu einer Kündigung führen können, wenn sie Grenzen überschreiten. Sie macht deutlich, dass die Vertraulichkeit in einer Chatgruppe kein Freibrief für Beleidigungen oder Hetze ist. Sie fordert von den Arbeitnehmern ein verantwortungsvolles Verhalten gegenüber ihren „Mitbeschäftigten“, gleich ob es sich um Vorgesetzte, Kollegen oder Mitarbeiter handelt, gleich, ob während der Arbeitszeit oder in der Freizeit. Sie ermutigt die Arbeitgeber, auf solche Vorfälle angemessen zu reagieren und ihre Mitarbeiter über die rechtlichen Konsequenzen aufzuklären. Allerdings darf diese Entscheidung nicht als Freibrief gewertet werden, um kritische Anmerkungen in sozialen Medien nachhaltig zu bekämpfen: Kritik – ggfs. auch polemisch geäußert – ist nicht verboten; auch ungerechtfertigte Kritik wird man als Arbeitgeber dulden müssen. Die Grenzen möglichst exakt zu definieren, wird Aufgabe der zukünftigen arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung sein.

 

Wenn Sie Fragen zu diesem Thema haben oder eine rechtliche Beratung im Arbeitsrecht benötigen, können Sie sich gerne an das erfahrene Arbeitsrechtsteam von ATN Rechtsanwälte wenden.

 

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Aufrechnungslage trotz Begründung im Dreimonatszeitraum nicht zwingend inkongruent

26. April 2023

Die Herstellung einer Aufrechnungslage ist nicht allein deshalb inkongruent, weil die Aufrechnungsbefugnis in den letzten drei Monaten vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet worden ist.

BGH, Urteil vom 8.12.2022 – IX ZR 175/21

RA Dr. d’Avoine kommentiert das BGH, Urteil vom 8.12.2022 – IX ZR 175/21 im Heft 6 der EWiR 2023, S. 179 f.

1. Sachverhalt

Der Kläger ist (Sonder-) Insolvenzverwalter über das Vermögen der P (=Schuldnerin). Die Schuldnerin erwarb von dem Beklagten als Insolvenzverwalter der „W“ deren Geschäftsbetrieb. Der Kaufpreis war urspr. am 19.02.2016 fällig. Am 23. Februar 2016 vereinbarten die Parteien, dass der Kaufpreis in Höhe von 1 Million Euro am 23. Februar und in Höhe der restlichen 5,7 Millionen Euro am 18. März 2016 fällig sein sollte; gezahlt wurde nur die erste Rate. Vom Unternehmenskauf ausgenommen war bei der W gelagerte Fertigware. Diese sollte (und wurde später ab dem 23.02.2016) von der Schuldnerin abverkauft. Als Gegenleistung war die Zahlung einer „Handling Fee“ von € 170.000,00 netto vereinbart. Auf den Antrag der Schuldnerin vom 15.03.2016 wurde das Insolvenzverfahren am 23.05.2016 eröffnet. Der Beklagte meldete den fehlenden Kaufpreis zur Insolvenztabelle an. Mit einer vom Kläger festgestellten Teilforderung von € 500.000,00 hat der Beklagte die Aufrechnung gegen die streitgegenständliche „Handling Fee“ erklärt. Der Kläger verlangt mit der Klage die Zahlung der „Handling Fee“. Das Landgericht hat die Klage aufgrund der Aufrechnung abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Aufrechnung für insolvenzrechtlich unwirksam gehalten und der Klage stattgegeben. Der Senat hebt das Berufungsurteil auf und verweist an das OLG zurück.

2. Ausführungen des BGH

Der BGH hält die Aufrechnung des Beklagten mit einem (erstrangigen) Teilbetrag der zur Tabelle festgestellten Kaufpreisforderung für die immateriellen Vermögensgegenstände in Höhe von 500.000 € für zulässig. Sie scheitere nicht an § 96 Abs. 1 Nr. 3, § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO. Es fehle an einer inkongruenten Sicherung oder Befriedigung. Eine die Aufrechnungsbefugnis begründende Verknüpfung zwischen Haupt- und Gegenforderung setzte nicht voraus, dass die Aufrechnung ausdrücklich vereinbart werde. Ausreichend sei eine vor der Herstellung der Aufrechnungslage vorgenommene Verknüpfung, welche die Annahme einer Aufrechnungsbefugnis nach dem zuerst entstandenen Rechtsverhältnis rechtfertigt. Würden in einem Vertrag wechselseitige Ansprüche begründet und ergebe sich aus den getroffenen Vereinbarungen nicht, dass eine Erfüllung durch Aufrechnung ausgeschlossen sein solle, bestehe die zur Annahme der Kongruenz notwendige Aufrechnungsbefugnis. Sowohl der streitgegenständliche Anspruch auf die „Handling Fee“ als auch die zur Aufrechnung gestellte Teilkaufpreisforderung aus dem geschlossenen Unternehmenskaufvertrag seien aus einem einheitlichen Vertragsverhältnis erwachsen. Dass die Aufrechnungsbefugnis in den letzten drei Monaten vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet worden sei, führe nicht allein zu einer Inkongruenz der Herstellung einer Aufrechnungslage.

3. Analyse und praktische Konsequenzen:

Die Entscheidung schützt das Vertrauen der Vertragsparteien darin, sich grundsätzlich wegen der gegenseitigen Forderungen aus einem einheitlichen Vertrag durch Aufrechnung befriedigen zu können. Hier bestätigt der BGH seine Rechtsprechung zur Anfechtbarkeit der Aufrechnung im Dreimonatszeitraum zugunsten einer grundsätzlich anzunehmenden Kongruenz. Die in der Literatur teilweise vertretene Ansicht, dies sei nur zulässig, wenn der Aufrechnende einen Anspruch gerade auf den Abschluss der Vereinbarung habe, welche die Aufrechnungslage entstehen ließ, (so: MüKoInsO/Kayser/Freudenberg, 4. Aufl. 2019, InsO § 131 Rn. 17), lehnt der Senat ab. Dies ist zutreffend, da die Aufrechnung ein Erfüllungssurogat i.S.d. § 364 Abs. 1 BGB darstellt. Die von §§ 94 ff. InsO vorgesehene Möglichkeit, durch Aufrechnung zu erfüllen, macht die Aufrechnung nicht inkongruent, nur weil diese Möglichkeit nicht vertraglich bestimmt wurde. Die Erlangung einer kongruenten Aufrechnungslage hängt nicht davon ab, ob der Aufrechnende einen Anspruch gerade auf den Abschluss der die Aufrechnungslage entstehenden Vereinbarung hat. Bei der Differenzierung zwischen vertragstreuer Kongruenz und vom Gläubiger nicht zu beanspruchender und damit inkongruenter Deckung ist die Verknüpfung zwischen den beiden Rechtsverhältnissen (dem aufrechnenden und dem aufgerechneten) ausschlaggebend. Entstehen Haupt- und Gegenforderung aus einem einheitlichen Vertragsverhältnis ist grundsätzlich von der Entstehung einer vertragstreuen -und damit unverdächtigen- Aufrechnungslage auszugehen

Die Aufrechnung in der kritischen Zeit der §§ 130, 131 InsO verstößt auch nicht gegen den Schutz der Gläubigergesamtheit. Zwar nutzt der Aufrechnende einen Vorteil, der den übrigen Gläubigern nicht zusteht und befreit sich (ggf. nur teilweise) von einer Forderung, doch bestimmt bereits § 94 InsO, dass eine zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bestehende Aufrechnungslage durch das Verfahren im Grundsatz nicht berührt wird (so auch BGH a.a.O. Ziffer 12). Der Gesetzeszweck der §§ 94 ff. InsO würde nicht beachtet, wenn bereits das Entstehen der Aufrechnungslage eine Inkongruenz begründen und damit im Monat 1 vor dem Insolvenzantrag ohne weitere Voraussetzungen der Anfechtung unterliegen würde (§ 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO). Das führt der BGH aus und schützt letztlich das Vertrauen der Vertragsparteien in Aufrechnungspotentiale.

Quelle:
Kommentar zu BGH, Urteil vom 8.12.2022 – IX ZR 175/21 im Heft 6 der EWiR 2023, S. 179 f.

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Inflationsausgleichsprämie ist pfändbar

4. Januar 2023

AG Köln, Beschluss vom 09.12.2022

Das Amtsgericht – Insolvenzgericht – Köln hat sich mit Beschluss vom 09.12.2022 mit der Pfändbarkeit einer Inflationsausgleichsprämie befasst. Der Antrag eines Insolvenzschuldners auf Freigabe dieser Prämie wurde zurückgewiesen.

Inflationsausgleichsprämie

Ab dem 26. Oktober 2022 können Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber ihren Beschäftigten steuer- und abgabenfrei einen Betrag bis zu € 3.000 gewähren. Hierbei handelt es sich um eine freiwillige Leistung der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber.
Nähere Infos unter: www.bundesregierung.de/breg-de/themen/entlastung-fuer-deutschland/inflationsausgleichspraemie

Antrag auf Freigabe

Dem betreffenden Insolvenzschuldner wurde von seinem Arbeitgeber ein Betrag in Höhe von € 1.500,00 als Inflationsausgleichsprämie auf seiner Lohnabrechnung ausgewiesen. Damit erhöhte sich der pfändbare Betrag im Auszahlungsmonat. Diesen führte der Arbeitgeber sodann ordnungsgemäß an die Masse ab. Den Antrag auf Freigabe begründete der Schuldner u.a. damit, dass Inflationsausgleichsprämien genauso unpfändbar seien, wie zuletzt die Corona-Prämien.
Hierbei wurde sich auf das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 25.08.2022 (Az. 8 AZR 14/2022) berufen, welches die Unpfändbarkeit von Corona-Prämien bejahte.

Entscheidung des Gerichts

Das Gericht wies den Antrag des Schuldners zurück. Als Begründung wurde angeführt, dass die Prämie freiwillig von Seiten des Arbeitgebers gezahlt werde und daher eher einer Gehaltserhöhung ähnele. Eine Vergleichbarkeit mit Corona-Prämien sei zudem nicht gegeben:

„Die Unpfändbarkeit der Corona-Prämie wurde durch verschiedene Gerichte bejaht. Dadurch sollten jedoch Erschwernisse während der Arbeit ausgeglichen werden, die durch Corona entstanden sind. Sie ist also vielmehr eine Erschwerniszulage.“

Die Inflationsausgleichsprämie hingegen weise keinen Bezug zur Arbeitsleistung auf, sondern mildere ausschließlich die Belastungen durch die Erhöhung der gestiegenen Lebenshaltungskosten ab. Gesetzliche Ausnahmen zur Pfändbarkeit von Inflationsausgleichsprämien bestünden überdies nicht.

Rechtsfolge

Die Inflationsausgleichsprämien ist hiernach wie Arbeitslohn in den Grenzen des § 850c ZPO grundsätzlich pfändbar. D.h. es gelten die Pfändungsfreigrenzen.

Hier geht es zum Beschluss: Zurückweisungsbeschluss Inflat.Prämie

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Gesetzesinitiativen und BMF-Schreiben vom 06.10.2022 zu Handlungsspielräumen der Finanzverwaltung als Folge des Ukrainekriegs

10. Oktober 2022

Fundamentale Krisen, vor allem Ukraine und Energie beschäftigen die gesamte Gesellschaft. Regierung und Verwaltung reagieren mit gezielten Maßnahmen und finanziellen Regelungen. Zur Zeit kann etwa zu den jüngsten rechtlichen und fiskalpolitischen Maßnahmen gesagt werden.

Entwurf einer Formulierungshilfe der Koalitionsfraktionen zur Umsetzung der insolvenzrechtlichen Vorgaben aus dem 3. Entlastungspaket
Das Bundeskabinett hatte am 05.10.2022 den von dem Bundesminister der Justiz Dr. Marco Buschmann vorgelegten Entwurf einer Formulierungshilfe der Koalitionsfraktionen zur Umsetzung der insolvenzrechtlichen Vorgaben aus dem 3. Entlastungspaket beschlossen.

https://www.bundesregierung.de/beschluss
Demnach sind div. vorübergehende Regelungen im Insolvenzrecht vorgesehen. U.a. soll der Prognosezeitraum für die Überschuldungsprüfung verkürzt werden. Bei der Insolvenzantragspflicht wegen Überschuldung nach § 15a InsO soll der Prognosezeitraum für die sogenannte „insolvenzrechtliche Fortführungsprognose“ von zwölf auf vier Monate herabgesetzt werden. Die Regelung soll bis zum 31. Dezember 2023 gelten. Das Kabinett betont, dass bereits ab dem 1. September 2023 der ursprüngliche Prognosezeitraum von 12 Monaten wieder relevant werden kann, wenn absehbar ist, dass auf Grundlage der ab dem 1. Januar 2024 wieder auf einen 12-monatigen Zeitraum zu beziehenden Prognose eine Überschuldung bestehen wird. Die Insolvenzantragspflicht wegen Zahlungsunfähigkeit bleibt von der Regelung unberührt. Ferner sollen auch die Planungszeiträume für Eigenverwaltungs- und Restrukturierungsplanungen von sechs auf vier Monate verkürzt werden.

BMF-Schreiben vom 06.10.2022 zu Handlungsspielräumen der Finanzverwaltung als Folge des Ukrainekriegs, IV A 3 – S 0336/22/10004 :001
Auch die Finanzverwaltung will die gestiegenen Energiekosten als Folge des Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine berücksichtigen. Mit Schreiben vom 06.10.2022 beschreibt das BMF Handlungsspielräume der Finanzverwaltung als Folge des Ukrainekriegs.
https://www.bundesfinanzministerium.de/Abgabenordnung/2022-10-05/-ukraine-finanzaemter-handlungsspielraum

Es heißt zusammenfassend:

„Das Bundesministerium der Finanzen hat im Einvernehmen mit den obersten Finanzbehörden der Länder ein BMF-Schreiben erlassen, nach dem die Finanzämter die ihnen gesetzlich zur Verfügung stehenden Handlungsspielräume im Interesse der erheblich betroffenen Steuerpflichtigen nutzen sollen. Ohne strenge Nachweispflichten sollen im Einzelfall auf Antrag fällige Steuern gestundet, Vorauszahlungen zur Einkommen- oder Körperschaftsteuer angepasst werden sowie Vollstreckungsaufschub gewährt werden.“

Das Schreiben führt dann im Einzelnen aus:

„Der völkerrechtswidrige Überfall Russlands auf die Ukraine stellt eine Zäsur dar. Die daraufhin erfolgten Sanktionen der EU waren und sind notwendig. Die Folgewirkungen des Krieges und der Sanktionen sind auch für die Bevölkerung und Unternehmen in Deutschland schwerwiegend.
Die Finanzämter werden diese besondere Situation bei nicht unerheblich negativ wirtschaftlich betroffenen Steuerpflichtigen angemessen berücksichtigen. Den Finanzämtern stehen im Rahmen der allgemeinen rechtlichen Vorgaben neben der Herabsetzung von Vorauszahlungen zur Einkommen- oder Körperschaftsteuer eine Reihe von Billigkeitsmaßnahmen zur Verfügung, um sachgerechte Entscheidungen treffen zu können. Genannt seien hier insbesondere die Stundung oder die einstweilige Einstellung oder Beschränkung der Vollstreckung (Vollstreckungsaufschub).
Nach Erörterung mit den obersten Finanzbehörden von Bund und Ländern gilt hierzu Folgendes:
In jedem Einzelfall ist unter Würdigung der entscheidungserheblichen Tatsachen nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, inwieweit ggf. die Voraussetzungen für eine steuerliche Billigkeitsmaßnahme vorliegen. Die Finanzämter schöpfen den ihnen hierbei zur Verfügung stehenden Ermessensspielraum verantwortungsvoll aus.
Bei der Nachprüfung der Voraussetzungen sind bei bis zum 31. März 2023 eingehenden Anträgen keine strengen Anforderungen zu stellen. Über Anträge auf Billigkeitsmaßnahmen oder Anpassung der Vorauszahlungen unter Einbeziehung der aktuellen Situation soll zeitnah entschieden werden. Auch eine rückwirkende Herabsetzung von Vorauszahlungen für das Jahr 2022 ist im Rahmen der Ermessensentscheidung möglich.
Auf die Erhebung von Stundungszinsen kann im Einzelfall aus Billigkeitsgründen verzichtet werden. Voraussetzung hierfür ist u. a., dass der Steuerpflichtige seinen steuerlichen Pflichten, insbesondere seinen Zahlungspflichten, bisher pünktlich nachgekommen ist und er in der
Vergangenheit nicht wiederholt Stundungen und Vollstreckungsaufschübe in Anspruch genommen hat, wobei Billigkeitsmaßnahmen aufgrund der Corona-Krise nicht zu Lasten des Steuerpflichtigen berücksichtigt werden. In diesen Fällen kommt ein Verzicht auf Stundungszinsen in der Regel in Betracht, wenn die Billigkeitsmaßnahme für einen Zeitraum von nichtmehr als drei Monaten gewährt wird.
Des Weiteren gelten die verlängerten Steuererklärungsfristen für die Veranlagungszeiträume 2020 bis 2024 (Artikel 97 § 36 Absatz 3 EGAO).“

Fazit:

Es wird also im Einzelfall darauf ankommen, was und wie die Steuerpflichtigen ihr Anliegen beim jeweils zuständigen Finanzamt anbringen und ggf. erörtern können, damit letzteres „diese besondere Situation … angemessen berücksichtigen kann“. Den Finanzämtern stehen durchaus „Billigkeitsmaßnahmen“ zur Verfügung. Wie im konkreten Fall „sachgerechte Entscheidungen“ vom FA getroffen werden können, ist im Zweifel im Dialog zu klären.

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Onlinegründung von GmbHs in Deutschland

9. August 2022

Deutschland tut sich bekanntermaßen mit Digitalisierungsthemen schwer. Insbesondere im internationalen Vergleich fällt auf, dass Deutschland beim Einsatz digitaler Möglichkeiten und Verfahren ein bis mehrere Schritte hinterher hinkt.
Bemerkenswert ist allerdings in diesem Zusammenhang, dass es in Deutschland seit dem 01.08.2022 möglich ist, verschiedene Beurkundungs- und Beglaubigungsverfahren, insbesondere die Gründung einer GmbH, online durchzuführen.
Hintergrund ist ein Europäischer Richtlinienentwurf aus dem Jahre 2018 für den „Einsatz digitaler Werkzeuge und Verfahren im Gesellschaftsrecht“, der vor allem die Einführung einer „Online-Gründung“ von Kapitalgesellschaften beabsichtigte. Die Umsetzung dieser Richtlinie in deutsches Recht ist nunmehr erfolgt.
Im Kern finden sich die Regelungen in den § 16 a) bis 16 e) Beurkundungsgesetz wieder (sowie in verschiedenen Vorschriften der BNotO), die insoweit vollständig neu eingeführt worden sind.

Hardware- und Softwareanforderungen sowie erforderliche Identitätsnachweise

Erwartungsgemäß will der Gesetzgeber das Onlineverfahren den beteiligten Parteien insbesondere hinsichtlich deren Identifizierung und Nachweis der Vertretungsberechtigung nicht allzu einfach machen.
Um überhaupt erst in der Lage zu sein, das Onlineverfahren durchzuführen, müssen die Parteien die notwendigen Hard- und Softwareanforderungen erfüllen und in Besitz der erforderlichen Identitätsnachweise sein. Dies sind im Detail:

  • Computer mit Kamera, Mikrofon und ausreichender Internetverbindung
  • Smartphone mit NFC-Schnittstelle
  • Notar-App (online zum Download im Android oder Apple Store)
  • Für Deutsche Staatsangehörige: Personalausweis mit eID und Reisepass
  • Für Unionsbürger: Nationaler Personalausweis und Reisepass (wobei hier eine noch ein Länderbeschränkung besteht. Für das Online-Verfahren sind derzeit bereits die eIDs auf den Identity Cards aus Estland, Litauen, Luxemburg, Portugal, der Slowakei, Spanien und Tschechien freigeschaltet. Die eIDs auf den Identity Cards aus Belgien, Italien, Kroatien, Lettland und den Niederlanden kommen in Kürze hinzu.)
  • Oder Unionsbürgerkarte mit PIN und Reisepass.

Im Detail: Zugelassene Identifizierungsmittel

Zugelassen als Identifizierungsmittel sind nach § 16 c) Nr. 1 Beurkundungsgesetz deutsche Personalausweise/Aufenthaltstitel mit eID Funktion oder nach § 16 c) Nr. 2 BeurkG ein elektronisches Identifizierungsmittel, das von einem anderen Mitgliedsstaat der Europäischen Union oder Vertragsstaat des EWR ausgestellt wurde, sofern dieses eIDAS-zertifiziert und anerkannt ist sowie das Vertrauensniveau „hoch“ aufweisen.
Eine Besonderheit ist in diesem Zusammenhang die 2021 eingeführte Unionsbürgerkarte, die jeder Unionsbürger in seiner Gemeinde bequem online beantragen kann, Diese enthält die eID Funktion und kann somit unabhängig von der Länderbeschränkung – gemeinsam mit dem Reisepass – zur Identifikation genutzt werden.

Der Ablauf der Beurkundung / Beglaubigung

Der Ablauf der Online-Beurkundung ist dann wie folgt:

  • Der Notar eröffnet mittels der Notar App eine Videokonferenz mit den beteiligten Parteien.
  • Die im Ausweis gespeicherten Namen, Geburtsdatum sowie das Lichtbild wird mittels der Notar-App über die NFC-Schnittstelle aus dem Ausweis ausgelesen und an den betreffenden Notar übermittelt. Nach Übertragung der EID Daten an den Notar überprüft dieser im Rahmen einer bestehenden Videoverbindung die optische Übereinstimmung der beteiligten Personen mit den übertragenen EID Daten und den Personalausweisdaten. Es erfolgt damit praktische eine doppelte Identitätsprüfung.
  • Sodann wird anstatt einer Papierniederschrift eine elektronische Niederschrift errichtet, in der festgehalten wird, dass die Verhandlung mittels Videokommunikation durchgeführt worden ist.
  • Wie in der Präsenzsitzung wird die elektronische Niederschrift vom Notar verlesen, den Parteien zur Durchsicht übermittelt und schließlich von diesen mittels qualifizierter elektronischer Signatur (wie auch vom Notar – ebenfalls per qualifizierter elektronischer Signatur – ) unterzeichnet.

Welche Einschränkungen gibt es?

Einige Einschränkungen zur Präsenzbeurkundung müssen allerdings beachtet werden:

  • Nur Bargründung
    Derzeit ist die Beurkundung nur für den Fall der Bargründung einer GmbH möglich. Die Online-Sachgründung soll ab dem 01.08.2023 möglich werden.
  • Amtsbereichsbeschränkung
    Darüber hinaus gilt bei Onlinebeurkundungen eine besondere Amtsbereichsbeschränkung für den Notar. Dieser darf Onlinebeurkunden nur durchführen, wenn sich der Sitz der betroffenen juristischen Person, Hauptniederlassung oder Wohnsitz des betroffenen Einzelkaufmanns, bei ausländischen juristischen Personen der Sitz oder die Geschäftsanschrift der betroffenen Zweigniederlassung oder Wohnsitz oder Sitz eines organschaftlichen Vertreters der betroffenen juristischen Person in seinem Amtsbereich befinden.
    Damit ist eine Onlinegründung nicht wahlweise bundesweit möglich, sondern streng amtsbereichsbezogen.
  • Beurkundungen und Beglaubigungen
    Derzeit kann neben der Bargündung von GmbHs (und UGs mit beschränkter Haftung) auch eine Beurkundung von Gründungsvollmachten erfolgen sowie die Beglaubigung sämtlicher Anmeldungen zum Handels-; Partnerschafts- und Genossenschaftsregister.

Zukünftige Erweiterungen und Ausblick

Ab dem 01.08.2023 wird, wie bereits erwähnt, auch die Sachgründung von GmbHs möglich sein sowie die Beurkundung einstimmig gefasster Gesellschafterbeschlüsse über Satzungsänderungen, Übernahmeerklärungen bei Stammkapitalerhöhungen und die Beglaubigung sämtlicher Anmeldungen zum Vereinsregister.
Die nunmehr in Kraft getretenen Neuregelungen versprechen daher, im Bereich der Beurkundungsvorgänge, insbesondere für die Bargründung von GmbHs deren Gesellschafter/Geschäftsführer sich im Ausland befinden, eine erhebliche Erleichterung darzustellen.
Der Gesetzgeber hat damit einen großen Schritt auf dem steinigen Weg der Digitalisierung gemacht. Es ist zwar zu vermuten, dass die Form der Onlinebeurkundungen zunächst nur schleppend angenommen werden wird. Allerdings darf davon ausgegangen werden, dass schon in wenigen Jahren der Großteil der hier genannten beurkundungspflichtigen Verfahren online erfolgen wird.

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