BAG: Aufgabenverteilung im Konzernverbund als Kündigungsgrund

18. September 2023

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat mit seinem Urteil vom 28.02.2023, 2 AZR 227/22, bestätigt, dass die betriebsbedingte Kündigung eines Arbeitsverhältnisses damit begründet werden kann, dass Aufgaben, die bislang vom gekündigten Arbeitnehmer wahrgenommen wurden, künftig auf ein anderes Konzernunternehmen übertragen werden und deshalb Beschäftigungsbedarf im Betrieb entfällt. Bei der Fremdvergabe von Aufgaben komme es – so das Bundesarbeitsgericht – nicht darauf an, ob dadurch Kosten gespart werden. Diese Rechtsprechung führt auf Arbeitnehmerseite zu der Befürchtung, dass Konzernstrukturen missbraucht werden könnten, um Kündigungsgründe zu schaffen oder gar vorzuspiegeln. Hierdurch könnten dann missliebige Beschäftigte einfacher gekündigt werden. Auf Arbeitgeberseite stellt sich die Frage, ob das Bundesarbeitsgericht hier tatsächlich einen Freibrief ausgestellt hat, der es Konzernen ermöglicht, Arbeitsplätze „verschwinden“ zu lassen.

Tatsächlich muss diese Rechtsprechung differenziert und in ihrem tatsächlichen und rechtlichen Zusammenhang gesehen werden:

Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts beschreibt den Zusammenhang zwischen betriebsbedingter Kündigung und unternehmerischer Organisationsentscheidung. Sie ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass der Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz (KSchG) an den Betrieb und teilweise noch an das Unternehmen gebunden ist. Konzernbezogenen Kündigungsschutz aber gibt es nach dem Gesetz nicht. Nur, wenn im Arbeitsvertrag ein konzernweiter Versetzungsvorbehalt enthalten ist und der (Vertrags-)Arbeitgeber die Rechtsmacht hat, diesen auch im Konzern durchzusetzen, können Beschäftigte sich mit Aussicht auf Erfolg auf freie Arbeitsplätze in Konzernunternehmen berufen.

Solange das nicht der Fall ist, können Arbeitgeber grundsätzlich frei entscheiden, Aufgaben auf Konzernunternehmen zu verlagern und Arbeitsplätze im eigenen Unternehmen abzubauen. Das muss am Ende nicht einmal zu Kündigungen führen, weil es sein kann, dass die unterschiedlichen Konzernunternehmen einen gemeinsamen Betrieb bilden. Das ist zum Beispiel der Fall bei rechtlich verselbstständigten Serviceabteilungen. In diesem Fall kann sich der Übergang von Aufgaben auf ein Konzernunternehmen als Teilbetriebsübergang im Sinne des § 613a BGB darstellen. Folge ist, dass die Arbeitsplätze der betroffenen Beschäftigten mit allen Rechten und Pflichten ohne Kündigung auf die neu zuständige Konzerngesellschaft übergehen.

Gleich, ob Sie als Arbeitgeber erwägen, Aufgaben auszulagern, ob Sie als Arbeitnehmer oder Arbeitnehmerin von einer Verlagerung betroffen sind oder ob Sie sich als Betriebsrat oder Personalvertretung positionieren müssen: ATN Rechtsanwälte verfügen über langjährige Erfahrung im Zusammenhang mit betriebsbedingten Kündigungen, Umstrukturierungen und Aufgabenübertragungen. Wir helfen Ihnen, wenn es darum geht, die Chancen und Risiken von Verlagerungen innerhalb oder außerhalb von Konzernen zu bewerten und sich bestmöglich zu positionieren. Gleich, ob im Arbeitsrecht oder im Gesellschaftsrecht.

Wenn Sie Fragen zu diesem Thema haben oder eine rechtliche Beratung benötigen, können Sie sich gerne an das erfahrene Team von ATN Rechtsanwälte wenden.

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Pfändbarkeit von Kündigungsabfindungen

13. September 2023

Beschluss Landgericht Kassel vom 12.06.2023 – 3 T 276/22 

Das Landgericht Kassel hat sich mit der Frage auseinandergesetzt, ob ein Abfindungsanspruch während der Wohlverhaltensphase vom Treuhänder pfändbar ist oder ob der Schuldner ein berechtigtes Interesse am Behalten aufweisen kann. 

Sachverhalt

Auf Eigenantrag des Beschwerdeführers und Schuldners vom 19.06.2018 eröffnete das Amtsgericht – Insolvenzgericht – Eschwege mit Beschluss vom 11.07.2018 das Verbraucherinsolvenzverfahren über das Vermögen des Beschwerdeführers und bestellte einen Insolvenzverwalter. Mit Beschluss vom 14.02.2020 wurde das Verfahren aufgehoben, da die Schlussverteilung vollzogen war. Der Beschwerdeführer befindet sich nunmehr im Restschuldbefreiungsverfahren bzw. der Wohlverhaltensphase. Die pfändbaren Forderungen auf Bezüge aus seinem Arbeits- oder Dienstverhältnis sind an den Treuhänder abgetreten (§ 287 Abs. 2 InsO).

Mit Schutzantrag vom 26.05.2021 beantragte der Beschwerdeführer, eine Kündigungsabfindung von ca. 60.000,00 € aus einem arbeitsgerichtlichen Vergleichsvorschlag in voller Höhe, hilfsweise in Höhe eines angemessenen Betrages aus dem Insolvenzverfahren herauszuhalten bzw. pfändungsfrei zu stellen bzw. ihm so viel zu belassen, als ihm nach freier Schätzung des Gerichts verbleiben würde, wenn sein Einkommen aus laufendem Arbeits- und Dienstlohn bestehen würde. Hintergrund war ein Kündigungsrechtsstreit vor dem Arbeitsgericht Kassel. Am 21.07.2021 schloss der Beschwerdeführer mit seinem früheren Arbeitgeber einen gerichtlichen Vergleich, wonach das bestehende Arbeitsverhältnis mit Ablauf des 31.07.2021 endete. Als Abfindung einigte man sich auf einen Betrag i.H.v. 70.000,00 € brutto. Von diesem Vergleichsschluss wurde das Insolvenzgericht mit Schreiben des Verfahrensbevollmächtigten des Beschwerdeführers vom 08.09.2021 informiert. Der Beschwerdeführer, der am 10.05.1971 geboren wurde, ist verheiratet und seiner Ehefrau zum Unterhalt verpflichtet. Er hat keine abgeschlossene Berufsausbildung. Zum 26.07.2021 begründete der Beschwerdeführer ein neues Arbeitsverhältnis. Er befand sich seitdem bis zum Ablauf des Monats April 2023 in einem befristeten Arbeitsverhältnis. Eine Verlängerung erfolgte danach nicht mehr. Der Beschwerdeführer ist seit dem 01.05.2023 arbeitslos. Mit Beschluss vom 29.04.2022 hat das Amtsgericht Eschwege den Antrag des Beschwerdeführers auf Freigabe des Abfindungsbetrages zurückgewiesen.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers. Der Beschwerdeführer wendet ein, dass das Amtsgericht gar keine Abwägung vorgenommen und das Ermessen nicht ausgeübt habe. Insbesondere habe das Amtsgericht nicht berücksichtigt, dass sich der Beschwerdeführer 21 Jahre im Betrieb hochgearbeitet und einen erheblichen Bestandsschutz genossen habe. Die streitgegenständliche Abfindung habe dem Ausgleich des Bestandsschutzes gedient. Er habe hierdurch vor allem eine Entschädigung für den Verlust einer langjährigen Beschäftigung erhalten. Diese Abfindung habe nicht dazu dienen sollen, bis zum Antritt einer neuen Arbeitsstelle liquiden Zufluss zu sichern, sondern selbst bei Antritt einer neuen Stelle, den Nachteil des verlorenen Bestandsschutzes, den er in der bisherigen Einstellung genossen habe, auszugleichen. Auch die (ursprünglich) vorgesehene Befristung des neuen Arbeitsverhältnisses bis zum 26.07.2022 bedeute für den Beschwerdeführer eine Ungewissheit, der mit der Auszahlung der Abfindung zu begegnen sei.

Mit Beschluss vom 21.06.2022 hat das Amtsgericht Eschwege der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und die Akten dem Landgericht zur Entscheidung vorgelegt.

Die Entscheidung des Landgerichts Kassel

Zu der Vorschrift des § 287 Abs. 2 Satz 1 InsO wurde nach Ansicht des Landgerichts Kassel erstinstanzlich zutreffend ausgeführt, dass die einmalige Abfindung anlässlich des Ausscheidens aus dem Arbeitsverhältnis von der Abtretung der „Bezüge aus einem Arbeits- oder Dienstverhältnis“ erfasst werde, weil ansonsten die während der Wohlverhaltensphase vorgesehene Bedienung der Gläubiger aus den pfändbaren Arbeitseinkünften des Schuldners leicht zu umgehen wäre (vgl. BGH, Urt. v. 11.05.2010 – IX ZR 139/09).

Die Vorschriften der §§ 850 ff ZPO finden daher Anwendung, so die Kasseler Richter. Konkret unterfällt die verfahrensgegenständliche Kündigungsabfindung dem Anwendungsbereich des § 850i Abs. 1 ZPO. Hiernach ist dem Schuldner während eines angemessenen Zeitraums so viel zu belassen, als ihm verbleiben würde, wenn sein Einkommen aus laufendem Arbeits- oder Dienstlohn bestünde. Zweck des § 850i ZPO ist die Gleichbehandlung aller Einkunftsarten des Schuldners. Zu belassen ist ihm daher so viel, als ihm nach freier Schätzung des Gerichts bei einem Einkommen aus laufendem Arbeits- oder Dienstlohn verbleiben würde, was sich nach den §§ 850 ff. ZPO, d. h. unter anderem bei der Vollstreckung von gewöhnlichen Geldforderungen nach § 850c ZPO bestimmt (LG Wuppertal, Beschl. v. 15.01.2019 – 16 T 235/17; LG Bochum, Beschl. v. 18.08.2010 – I-7 T 433/0 9,7 T 433/09). Es kommt nicht darauf an, wofür die Abfindungszahlung geleistet worden ist; es ist also nicht entscheidend, ob die Abfindungszahlung die lange Betriebszugehörigkeit des Beschwerdeführers widerspiegeln soll. Davon abgesehen gehört eine Kündigungsabfindung – wie die vorliegende – zu den Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis, weil sie gerade wegen seiner Beendigung vom Arbeitgeber gezahlt wird; sie dient – wie sonstige Geldleistungen des Arbeitgebers aus dem Arbeitsverhältnis – der Sicherung des Lebensunterhalts des Arbeitnehmers und seiner Familie (vgl. BAG, Urt. v. 13.11.1991 – 4 AZR 39/91) und soll regelmäßig einen Ausgleich für den Verlust des Arbeitsplatzes und des verlorenen sozialen Besitzstandes darstellen (vgl. BGH, Urt. v. 11.05.2010 – IX ZR 139/09).

Auch die Länge des angemessenen Bezugszeitraums, den das Gericht im Falle einer Abfindungszahlung im Rahmen des § 850i Abs. 1 ZPO zu Grunde legen muss, hängt im Wesentlichen davon ab, wann der Schuldner mit weiteren Einkünften rechnen kann, um seinen und den Unterhalt seiner Familie zu bestreiten (LG Wuppertal, Beschl. v. 15.01.2019 – 16 T 235/17). Es ist durch das Gericht also regelmäßig derjenige Zeitraum zugrunde zu legen, nach dem voraussichtlich mit einer Wiederaufnahme einer Erwerbstätigkeit zu rechnen ist. Vorliegend hat der Beschwerdeführer jedoch – wie bereits das Amtsgericht zurecht ausgeführt hat – noch während der Kündigungslaufzeit ein neues Arbeitsverhältnis mit einem gleichwertigen Verdienst begründet. Es lag bei ihm also keine Arbeitslosigkeit oder ein Einkommensverlust vor, nachdem er mit seinem vormaligen Arbeitgeber den Vergleich geschlossen und die Abfindungszahlung erhalten hat. Aus diesem Grunde war in diesem Zusammenhang und im Rahmen dieser Beschwerdeentscheidung nicht mehr zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer nunmehr, also zwei Jahre später, arbeitslos ist.

Fazit

Die Entscheidung des Landgerichts Kassel verdeutlicht, dass der Schuldner auch während der Wohlverhaltensphase deutlich weitreichendere Pflichten hat, als lediglich seine pfändbaren Lohnanteile abzuführen. Auch unterstreicht der Beschluss, dass eine arbeitsrechtliche Abfindung unter insolvenzrechtlicher Betrachtung wie eine Gehaltszahlung gewertet werden kann. Ein Arbeitnehmer, der eine Abfindung aufgrund des Ausscheidens aus dem Unternehmen erhält, ist mithin nicht schutzwürdiger als derjenige, der weiterhin als Arbeitnehmer beschäftigt ist und sein monatliches Arbeitsentgelt erhält. Andererseits bedeutet dies auch, dass es für den Schuldner in der Wohlverhaltensphase kaum noch Anreize gibt, eine hohe Abfindung zu erstreiten, wenn er unmittelbar nach seinem Ausscheiden eine neue Anstellung beginnt.

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ChatGPT in der Insolvenzverwalterpraxis

12. September 2023

„ChatGPT“ und andere KI-Chatbots sind derzeit Gegenstand vieler Veranstaltungen und Diskussionen. Solche Computerprogramme erlauben es den Anwendern, mit der „KI“ einen menschenähnlichen Dialog zu führen. Auf diese Weise kann man vom Chatbot Texte erstellen, über- und verarbeiten lassen.

In Zeiten von massivem Fachkräftemangel beschäftigen sich inzwischen auch in Deutschland immer mehr Anwaltskanzleien mit entsprechenden Anwendungen. In ersten Fortbildungsveranstaltungen wird bereits demonstriert, wie mit Anwendungen wie ChatGPT 4.0, Bing oder BARD ganze Schriftsatzentwürfe und dazu korrespondierende Mandantenanschreiben erstellt werden können. Auch die Justiz selbst beschäftigt sich in verschiedenen Projekten auf Länderebene mit diesen Technologien, dabei vorwiegend in Bereichen, in denen Massenverfahren, wie z.B. Diesel- oder Fluggastprozesse, bearbeitet werden müssen. Zwar verweisen die zuständigen Vertreter der Justiz dabei ausdrücklich auf den sich aus dem Grundgesetz ergebenden „Menschenvorbehalt“ für Richter und die Notwendigkeit des Erhalts der richterlichen Unabhängigkeit.Die Tatsache der Befassung der Justiz mit diesen KI-Anwendungen an sich zeigt aber, dass diese sich ein Übergehen angesichts der wachsenden Verfahrensmenge schlicht nicht leisten kann.

Ähnliche Zwänge zeigen sich in der Praxis der Insolvenzverwalterbüros. Auch diese haben derzeit mit steigenden Verfahrensanzahlen und wachsender Personalknappheit zu kämpfen. Ein Großteil der Arbeit im Berichtswesen ist aber beschreibender und analysierender Art. Anwendungen wie Ask-your-pdf können die Bearbeitung mit KI-Programmen in diesen Bereichen erheblich vereinfachen und beschleunigen. Dies betrifft aber nur den beschreibenden Teil der Arbeit, denn KI-Bots sind nicht in der Lage, eigene einzelfallbezogene und sachgerechte Entscheidungen zu treffen, die die menschliche Bearbeitung ersetzen könnten. Solche Entscheidungen machen zwar den wichtigsten, aber auch nur einen kleinen Teil der Insolvenzverwalterpraxis aus. Offen sind allerdings noch diverse Rechtsfragen, z.B. arbeits-, datenschutz- und urheberrechtlicher Art. Letztere führen dazu, dass die verschiedenen KI-Chatbots derzeit zu Übungszwecken nur auf einen kleinen Teil der verfügbaren Gerichtsurteile zugreifen können.

Tatsächlich könnten die Systeme in der juristischen Bearbeitung schon deutlich „besser“ sein. Dies erfordert aber eben die Klärung offener Rechtsfragen. Auch vor dem Hintergrund fanden zuletzt auf EU-Ebene Gespräche über den künftigen Rechtsrahmen für die KI-Technologie statt. Dies ist zu begrüßen, denn die Entwicklung lässt sich ohnehin nicht aufhalten. Sicher ist indes, dass sich die anwaltliche, aber insbesondere auch die insolvenzrechtliche Bearbeitungspraxis in naher Zukunft massiv ändern wird – und vielleicht auch muss.

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Kündigung wegen Äußerungen in einer Chatgruppe: Was Arbeitgeber und Beschäftigte wissen müssen

7. September 2023

 

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat am 24. August 2023 unter dem Aktenzeichen 2 AZR 17/23 eine wichtige Entscheidung zum Thema Kündigung wegen Äußerungen in einer Chatgruppe getroffen. Dabei ging es um einen Arbeitnehmer, der sich in einer privaten Chatgruppe mit sechs anderen Kollegen in stark beleidigender, rassistischer, sexistischer und zu Gewalt aufstachelnder Weise über Vorgesetzte und andere Kollegen geäußert hatte. Die Chatgruppe war von einem der Mitglieder gegründet worden, um sich über die Arbeitsbedingungen auszutauschen. Der Arbeitgeber erfuhr von den Äußerungen durch einen anonymen Hinweis und kündigte dem Arbeitnehmer fristlos.

Das Arbeitsgericht Hannover und das Landesarbeitsgericht Niedersachsen gaben der Kündigungsschutzklage des Arbeitnehmers statt. Sie meinten, dass die Äußerungen zwar grob verletzend und strafrechtlich relevant seien, aber nicht den Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdeten. Sie beriefen sich auf den Schutz der Vertraulichkeit in einer privaten Chatgruppe, die nur aus einem kleinen Kreis von Arbeitnehmern bestand, die sich gegenseitig kannten und vertrauten. Der gekündigte Arbeitnehmer hätte darauf vertrauen dürfen, dass die Äußerungen den Kreis der Mitglieder der Gruppe nicht verlassen würden.

Das Bundesarbeitsgericht hob diese Urteile auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurück. Es stellte klar, dass die Äußerungen des Arbeitnehmers an sich einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung darstellten, da sie das Ansehen und den Betriebsfrieden des Arbeitgebers erheblich beeinträchtigten. Es wies darauf hin, dass die Vertraulichkeit in einer Chatgruppe nicht absolut sei, sondern von den Umständen des Einzelfalls abhänge. Es sei zu berücksichtigen, wie viele Personen an der Chatgruppe beteiligt seien, wie eng die Beziehung zwischen ihnen sei, wie sicher die Kommunikation vor dem Zugriff Dritter geschützt sei und wie schwerwiegend die Äußerungen seien. Erst nach einer Feststellung dieser Variablen und einer daran anschließenden Wertung könne festgestellt werden, ob im Einzelfall die Kündigung wirksam sei oder das Bestandsinteresse des Arbeitnehmers überwiege.

Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts kann weitreichende Folgen für Arbeitgeber und Beschäftigte haben. Sie zeigt, dass auch vermeintlich private Äußerungen in einer Chatgruppe zu einer Kündigung führen können, wenn sie Grenzen überschreiten. Sie macht deutlich, dass die Vertraulichkeit in einer Chatgruppe kein Freibrief für Beleidigungen oder Hetze ist. Sie fordert von den Arbeitnehmern ein verantwortungsvolles Verhalten gegenüber ihren „Mitbeschäftigten“, gleich ob es sich um Vorgesetzte, Kollegen oder Mitarbeiter handelt, gleich, ob während der Arbeitszeit oder in der Freizeit. Sie ermutigt die Arbeitgeber, auf solche Vorfälle angemessen zu reagieren und ihre Mitarbeiter über die rechtlichen Konsequenzen aufzuklären. Allerdings darf diese Entscheidung nicht als Freibrief gewertet werden, um kritische Anmerkungen in sozialen Medien nachhaltig zu bekämpfen: Kritik – ggfs. auch polemisch geäußert – ist nicht verboten; auch ungerechtfertigte Kritik wird man als Arbeitgeber dulden müssen. Die Grenzen möglichst exakt zu definieren, wird Aufgabe der zukünftigen arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung sein.

 

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