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Pfändbarkeit von Kündigungsabfindungen

13. September 2023

Beschluss Landgericht Kassel vom 12.06.2023 – 3 T 276/22 

Das Landgericht Kassel hat sich mit der Frage auseinandergesetzt, ob ein Abfindungsanspruch während der Wohlverhaltensphase vom Treuhänder pfändbar ist oder ob der Schuldner ein berechtigtes Interesse am Behalten aufweisen kann. 

Sachverhalt

Auf Eigenantrag des Beschwerdeführers und Schuldners vom 19.06.2018 eröffnete das Amtsgericht – Insolvenzgericht – Eschwege mit Beschluss vom 11.07.2018 das Verbraucherinsolvenzverfahren über das Vermögen des Beschwerdeführers und bestellte einen Insolvenzverwalter. Mit Beschluss vom 14.02.2020 wurde das Verfahren aufgehoben, da die Schlussverteilung vollzogen war. Der Beschwerdeführer befindet sich nunmehr im Restschuldbefreiungsverfahren bzw. der Wohlverhaltensphase. Die pfändbaren Forderungen auf Bezüge aus seinem Arbeits- oder Dienstverhältnis sind an den Treuhänder abgetreten (§ 287 Abs. 2 InsO).

Mit Schutzantrag vom 26.05.2021 beantragte der Beschwerdeführer, eine Kündigungsabfindung von ca. 60.000,00 € aus einem arbeitsgerichtlichen Vergleichsvorschlag in voller Höhe, hilfsweise in Höhe eines angemessenen Betrages aus dem Insolvenzverfahren herauszuhalten bzw. pfändungsfrei zu stellen bzw. ihm so viel zu belassen, als ihm nach freier Schätzung des Gerichts verbleiben würde, wenn sein Einkommen aus laufendem Arbeits- und Dienstlohn bestehen würde. Hintergrund war ein Kündigungsrechtsstreit vor dem Arbeitsgericht Kassel. Am 21.07.2021 schloss der Beschwerdeführer mit seinem früheren Arbeitgeber einen gerichtlichen Vergleich, wonach das bestehende Arbeitsverhältnis mit Ablauf des 31.07.2021 endete. Als Abfindung einigte man sich auf einen Betrag i.H.v. 70.000,00 € brutto. Von diesem Vergleichsschluss wurde das Insolvenzgericht mit Schreiben des Verfahrensbevollmächtigten des Beschwerdeführers vom 08.09.2021 informiert. Der Beschwerdeführer, der am 10.05.1971 geboren wurde, ist verheiratet und seiner Ehefrau zum Unterhalt verpflichtet. Er hat keine abgeschlossene Berufsausbildung. Zum 26.07.2021 begründete der Beschwerdeführer ein neues Arbeitsverhältnis. Er befand sich seitdem bis zum Ablauf des Monats April 2023 in einem befristeten Arbeitsverhältnis. Eine Verlängerung erfolgte danach nicht mehr. Der Beschwerdeführer ist seit dem 01.05.2023 arbeitslos. Mit Beschluss vom 29.04.2022 hat das Amtsgericht Eschwege den Antrag des Beschwerdeführers auf Freigabe des Abfindungsbetrages zurückgewiesen.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers. Der Beschwerdeführer wendet ein, dass das Amtsgericht gar keine Abwägung vorgenommen und das Ermessen nicht ausgeübt habe. Insbesondere habe das Amtsgericht nicht berücksichtigt, dass sich der Beschwerdeführer 21 Jahre im Betrieb hochgearbeitet und einen erheblichen Bestandsschutz genossen habe. Die streitgegenständliche Abfindung habe dem Ausgleich des Bestandsschutzes gedient. Er habe hierdurch vor allem eine Entschädigung für den Verlust einer langjährigen Beschäftigung erhalten. Diese Abfindung habe nicht dazu dienen sollen, bis zum Antritt einer neuen Arbeitsstelle liquiden Zufluss zu sichern, sondern selbst bei Antritt einer neuen Stelle, den Nachteil des verlorenen Bestandsschutzes, den er in der bisherigen Einstellung genossen habe, auszugleichen. Auch die (ursprünglich) vorgesehene Befristung des neuen Arbeitsverhältnisses bis zum 26.07.2022 bedeute für den Beschwerdeführer eine Ungewissheit, der mit der Auszahlung der Abfindung zu begegnen sei.

Mit Beschluss vom 21.06.2022 hat das Amtsgericht Eschwege der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und die Akten dem Landgericht zur Entscheidung vorgelegt.

Die Entscheidung des Landgerichts Kassel

Zu der Vorschrift des § 287 Abs. 2 Satz 1 InsO wurde nach Ansicht des Landgerichts Kassel erstinstanzlich zutreffend ausgeführt, dass die einmalige Abfindung anlässlich des Ausscheidens aus dem Arbeitsverhältnis von der Abtretung der „Bezüge aus einem Arbeits- oder Dienstverhältnis“ erfasst werde, weil ansonsten die während der Wohlverhaltensphase vorgesehene Bedienung der Gläubiger aus den pfändbaren Arbeitseinkünften des Schuldners leicht zu umgehen wäre (vgl. BGH, Urt. v. 11.05.2010 – IX ZR 139/09).

Die Vorschriften der §§ 850 ff ZPO finden daher Anwendung, so die Kasseler Richter. Konkret unterfällt die verfahrensgegenständliche Kündigungsabfindung dem Anwendungsbereich des § 850i Abs. 1 ZPO. Hiernach ist dem Schuldner während eines angemessenen Zeitraums so viel zu belassen, als ihm verbleiben würde, wenn sein Einkommen aus laufendem Arbeits- oder Dienstlohn bestünde. Zweck des § 850i ZPO ist die Gleichbehandlung aller Einkunftsarten des Schuldners. Zu belassen ist ihm daher so viel, als ihm nach freier Schätzung des Gerichts bei einem Einkommen aus laufendem Arbeits- oder Dienstlohn verbleiben würde, was sich nach den §§ 850 ff. ZPO, d. h. unter anderem bei der Vollstreckung von gewöhnlichen Geldforderungen nach § 850c ZPO bestimmt (LG Wuppertal, Beschl. v. 15.01.2019 – 16 T 235/17; LG Bochum, Beschl. v. 18.08.2010 – I-7 T 433/0 9,7 T 433/09). Es kommt nicht darauf an, wofür die Abfindungszahlung geleistet worden ist; es ist also nicht entscheidend, ob die Abfindungszahlung die lange Betriebszugehörigkeit des Beschwerdeführers widerspiegeln soll. Davon abgesehen gehört eine Kündigungsabfindung – wie die vorliegende – zu den Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis, weil sie gerade wegen seiner Beendigung vom Arbeitgeber gezahlt wird; sie dient – wie sonstige Geldleistungen des Arbeitgebers aus dem Arbeitsverhältnis – der Sicherung des Lebensunterhalts des Arbeitnehmers und seiner Familie (vgl. BAG, Urt. v. 13.11.1991 – 4 AZR 39/91) und soll regelmäßig einen Ausgleich für den Verlust des Arbeitsplatzes und des verlorenen sozialen Besitzstandes darstellen (vgl. BGH, Urt. v. 11.05.2010 – IX ZR 139/09).

Auch die Länge des angemessenen Bezugszeitraums, den das Gericht im Falle einer Abfindungszahlung im Rahmen des § 850i Abs. 1 ZPO zu Grunde legen muss, hängt im Wesentlichen davon ab, wann der Schuldner mit weiteren Einkünften rechnen kann, um seinen und den Unterhalt seiner Familie zu bestreiten (LG Wuppertal, Beschl. v. 15.01.2019 – 16 T 235/17). Es ist durch das Gericht also regelmäßig derjenige Zeitraum zugrunde zu legen, nach dem voraussichtlich mit einer Wiederaufnahme einer Erwerbstätigkeit zu rechnen ist. Vorliegend hat der Beschwerdeführer jedoch – wie bereits das Amtsgericht zurecht ausgeführt hat – noch während der Kündigungslaufzeit ein neues Arbeitsverhältnis mit einem gleichwertigen Verdienst begründet. Es lag bei ihm also keine Arbeitslosigkeit oder ein Einkommensverlust vor, nachdem er mit seinem vormaligen Arbeitgeber den Vergleich geschlossen und die Abfindungszahlung erhalten hat. Aus diesem Grunde war in diesem Zusammenhang und im Rahmen dieser Beschwerdeentscheidung nicht mehr zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer nunmehr, also zwei Jahre später, arbeitslos ist.

Fazit

Die Entscheidung des Landgerichts Kassel verdeutlicht, dass der Schuldner auch während der Wohlverhaltensphase deutlich weitreichendere Pflichten hat, als lediglich seine pfändbaren Lohnanteile abzuführen. Auch unterstreicht der Beschluss, dass eine arbeitsrechtliche Abfindung unter insolvenzrechtlicher Betrachtung wie eine Gehaltszahlung gewertet werden kann. Ein Arbeitnehmer, der eine Abfindung aufgrund des Ausscheidens aus dem Unternehmen erhält, ist mithin nicht schutzwürdiger als derjenige, der weiterhin als Arbeitnehmer beschäftigt ist und sein monatliches Arbeitsentgelt erhält. Andererseits bedeutet dies auch, dass es für den Schuldner in der Wohlverhaltensphase kaum noch Anreize gibt, eine hohe Abfindung zu erstreiten, wenn er unmittelbar nach seinem Ausscheiden eine neue Anstellung beginnt.

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