Arbeitszeiterfassung – Sensation oder alter Wein in neuen Schläuchen?

16. September 2022

Mit einem als Sensation gefeierten oder als Katastrophe verdammten Urteil hat das Bundesarbeitsgericht am 13.09.2022 – 1 ABR 22/21 – angeblich entschieden, dass Arbeitgeber verpflichtet sind, Zeiterfassungssysteme einzuführen, mit denen die Arbeitszeit der Arbeitnehmer erfasst werden kann.
Bei genauerem Hinsehen zeigt sich zunächst, dass es sich bei der Entscheidung vom 13.09.2022 nicht um ein Urteil, sondern um einen Beschluss handelt. Mit diesem wurde auch nicht ein Arbeitgeber verurteilt, weil er keine Zeiterfassung eingeführt hatte, vielmehr wurde der Antrag eines Betriebsrats gegen einen Arbeitgeber zurückgewiesen, mit dem der Betriebsrat erreichen wollte, dass mit ihm über die Einführung eines Zeiterfassungssystems verhandelt wird. Schließlich zeigt sich, dass das Bundesarbeitsgericht gar keine generellen Vorgaben aufgestellt hat, sondern auf die gesetzliche Regelung des § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG Bezug nimmt. Dort heißt es auszugsweise:

§ 3 Grundpflichten des Arbeitgebers

(1) Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes unter Berücksichtigung der Umstände zu treffen, die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten bei der Arbeit beeinflussen. …
(2) Zur Planung und Durchführung der Maßnahmen nach Absatz 1 hat der Arbeitgeber unter Berücksichtigung der Art der Tätigkeiten und der Zahl der Beschäftigten

  1. für eine geeignete Organisation zu sorgen und die erforderlichen Mittel bereitzustellen sowie
  2. Vorkehrungen zu treffen, dass die Maßnahmen erforderlichenfalls bei allen Tätigkeiten und eingebunden in die betrieblichen Führungsstrukturen beachtet werden und die Beschäftigten ihren Mitwirkungspflichten nachkommen können.

Die Gründe für die Entscheidung liegen noch nicht vor; veröffentlicht wurde zunächst eine Pressemitteilung des Gerichts. Dieser Mitteilung ist aber zu entnehmen, dass eine elektronische Zeiterfassung in dem konkreten Betrieb, um den es in der Entscheidung ging, aufgrund der Art und Größe des Betriebs erforderlich war, um den Betrieb zu organisieren. Das ist insbesondere vor dem Hintergrund zu sehen, dass der EuGH bereits am 14.05.2019 – C 55/18 – in einer viel beachteten und scheinbar schnell vergessenen Entscheidung vorgegeben hatte, dass Arbeitgeber verpflichtet sind, eine objektive und verlässliche Erfassung der Arbeitszeiten zur Verfügung zu stellen. Hierbei stellte der EuGH klar, dass sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer Zugriff auf die Daten zur tatsächlich geleisteten Arbeitszeit haben müssen, um ggfs. erforderliche Nachweise führen zu können.

Vor diesem Hintergrund erscheint die jetzige Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts wenig erstaunlich: Die elektronische Erfassung von Arbeitszeiten ist eine gesetzliche Pflicht des Arbeitgebers, wenn es aufgrund der Struktur und Größe des Betriebs erforderlich ist, die Zeiten elektronisch zu erfassen. Weil es sich um eine gesetzliche Pflicht handelt, hat der Betriebsrat nur in ganz engen Grenzen Mitbestimmungsrechte.

Für weitere Informationen und Neuigkeiten folgen Sie uns gerne bei LinkedIn!

Insolvenz und Steuererstattungen

1. September 2022

Steuererstattungsbescheide des FA auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens zulässig

BFH Urteil vom 05. April 2022, IX R 27/18

Steuerbescheide, mit denen eine positive Steuer festgesetzt wird, können ausnahmsweise auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens wirksam ergehen, wenn sich unter Berücksichtigung von Anrechnungsbeträgen insgesamt ein Erstattungsbetrag ergibt. Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) mit Urteil vom 05.04.2022 – IX R 27/18 entschieden, BFH Urteil vom 05. April 2022, IX R 27/18. Das Finanzamt habe keine Insolvenzforderung festgesetzt, die nur nach den Vorschriften über das Insolvenzverfahren verfolgt werden kann, so das Gericht. (Urteil vom 05.04.2022 – IX R 27/18)

ECLI:DE:BFH:2022:U.050422.IXR27.18.0
BFH IX. Senat

AO § 125 Abs 1, AO § 251 Abs 2 S 1, AO § 251 Abs 3, EStG § 17 Abs 1 S 1, EStG § 17 Abs 4 S 1, EStG § 4 Abs 1, EStG § 5 Abs 1, InsO § 174 Abs 1 S 1, InsO § 87, EStG VZ 2014
vorgehend FG Düsseldorf, 04. Oktober 2018, Az: 11 K 1921/16 E

Leitsätze

1. Steuerbescheide, mit denen eine positive Steuer festgesetzt wird, können ausnahmsweise auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens wirksam ergehen, wenn sich unter Berücksichtigung von Anrechnungsbeträgen insgesamt ein Erstattungsbetrag ergibt und auch keine Besteuerungsgrundlagen festgestellt werden, die die Höhe von Steuerforderungen beeinflussen, welche zur Tabelle anzumelden sind.

2. Wird die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens mangels Masse abgelehnt, entsteht ein Auflösungsverlust nach § 17 Abs. 4 EStG nicht bereits zu dem Zeitpunkt des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens (Bestätigung des Senatsurteils vom 13.03.2018 – IX R 38/16, BFH/NV 2018, 721).

Vorliegend ging es um einen – unstreitigen – Erstattungsbetrag wegen einbehaltener Lohnsteuer und Kapitalertragsteuer, der mit Bescheid nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens festgesetzt worden war.

Im Streitfall reichte der Kläger als Insolvenzverwalter über das Vermögen eines Ehepaars eine Einkommensteuererklärung beim Finanzamt ein. Dieses setzte die Einkommensteuer erklärungsgemäß in Höhe von rund 29.000 EUR fest. Unter Berücksichtigung einbehaltener Lohnsteuer und Kapitalertragsteuer ergab sich ein Erstattungsbetrag in Höhe von rund 2.500 EUR. Dagegen wandte sich der Kläger mit Einspruch und Klage und machte geltend, das Finanzamt dürfe nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens keine (förmlichen) Bescheide mehr erlassen, sondern nur noch (einfache) Abrechnungen erstellen.

Ausnahme für sogenannte Nullbescheide

Dem ist der BFH nicht gefolgt und hat die Handhabung der Finanzverwaltung bestätigt. Zwar dürften Steuerbescheide nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht mehr ergehen, wenn darin Insolvenzforderungen festgesetzt werden. Vielmehr müsse das Finanzamt Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis zur Tabelle anmelden. Eine Ausnahme gelte für sogenannte Nullbescheide sowie für Umsatzsteuerbescheide, mit denen eine negative Steuer festgesetzt wird und aus denen sich keine Zahllast ergibt.

Entschiedener Fall vergleichbar

Ein vergleichbarer Ausnahmefall liegt nach Ansicht des BFH auch dann vor, wenn sich – trotz positiver Steuer – unter Berücksichtigung von Anrechnungsbeträgen eine Erstattung ergibt. Einem derartigen Bescheid fehle die abstrakte Eignung, sich auf anzumeldende Steuerforderungen auszuwirken. Denn damit habe das Finanzamt keine Insolvenzforderung festgesetzt, die nur nach den Vorschriften über das Insolvenzverfahren verfolgt werden kann.

Bundesfinanzhof Urteil vom 05.04.2022, IX R 27/18

BFH Urteil vom 05. April 2022, IX R 27/18

ECLI:DE:BFH:2022:U.050422.IXR27.18.0

BFH IX. Senat

AO § 125 Abs 1, AO § 251 Abs 2 S 1, AO § 251 Abs 3, EStG § 17 Abs 1 S 1, EStG § 17 Abs 4 S 1, EStG § 4 Abs 1, EStG § 5 Abs 1, InsO § 174 Abs 1 S 1, InsO § 87, EStG VZ 2014
vorgehend FG Düsseldorf, 04. Oktober 2018, Az: 11 K 1921/16 E

https://beck-online.beck.de/Dokument?vpath=bibdata%2Fzeits%2Ffdinsr%2F2022%2F450816.htm&pos=3&hlwords=on

siehe auch:
Harder, Steuerliche Erstattungsansprüche in der Insolvenz – Haftungsfalle für Insolvenzverwalter, VIA 2022, 1

BFH, Erlass eines „Erstattungsbescheids“ nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens, ZRI 2021, 95

FG Düsseldorf, Erlass eines Einkommensteuerbescheids nach Insolvenzeröffnung: Erstattungsanspruch nach Abrechnung – Durchbrechung der Bestandskraft der Steuerfestsetzung bei nachträglicher Anmeldung einer Insolvenzforderung, BeckRS 2018, 28425 (Vorinstanz)

Für weitere Informationen und Neuigkeiten folgen Sie uns gerne bei LinkedIn!

Energiepreispauschale (EPP) und Sanierung in Eigenverwaltung

31. August 2022

Bekanntlich agiert der Staat in der Energiekrise mit div. Maßnahmen. Im Zuge der steigenden Energiepreise hat der Gesetzgeber zur Entlastung der Verbraucher die einmalige Zahlung einer „Energiepreispauschale“ von € 300,00 beschlossen. Auch die Arbeitnehmer*innen von Unternehmen im Eigenverwaltungsverfahren wollen in den Genuss der Energiepreispauschale kommen. Die ist aber nicht insolvenzgeldfähig.

Grundlagen:

Mit der per Steuerentlastungsgesetz 2022 verabschiedeten Energiepreispauschale sollen die sprunghaft gestiegenen Energiekosten sozial gerecht abgefedert werden. Nach Verlautbarung des Gesetzgebers ist sie ein Ausgleich für die kurzfristig gestiegenen erwerbsbedingten Wegeaufwendungen. Der am 01.09.2022 entstehende Anspruch auf i.H.v. 300 € beschäftigt die Gesellschaft aber auch Juristen. In der insolvenzrechtlichen Praxis ist etwa die Frage nach der Pfändbarkeit der EPP und mit ihr der Insolvenzbeschlag von Bedeutung. Die gesetzlichen Regelungen zur EPP (§ 112 ff. EStG) machen zur Frage der (Un-)Pfändbarkeit jedoch keine Angaben.

In den vom BMF veröffentlichten FAQs (Ziff. VI. 27 und XI.) findet sich lediglich die Frage, ob die EPP als Arbeitslohn pfändbar ist (Antwort: „Die EPP ist von einer Lohnpfändung nicht umfasst, da es sich arbeits- und sozialversicherungsrechtlich nicht um „Arbeitslohn“ oder „Arbeitsentgelt“ handelt. Die steuerrechtliche Einordnung der EPP als Arbeitslohn ist insoweit unbeachtlich.“). Ferner wird angegeben, dass die EPP bei einkommensabhängigen Sozialleistungen nicht als Einkommen zu berücksichtigen ist, da die EPP ebenfalls eine staatliche Sozialleistung darstellt.

Die Zusatzkosten für Energie treffen jeden, aber nicht alle Anspruchsberechtigten in gleichem Maße. Die Pauschalisierung übergeht das. Sie dürfte daher wohl eine allgemeine, von den Umständen des Einzelfalls losgelöste Sonderhilfe zur Bewältigung der drastisch gestiegenen Kosten sein. Bei dieser sozialpolitischen Funktion liegen Parallelen zu anderen sozial motivierten Ausnahmen von der Pfändbarkeit (Pfändungsfreibeträge) nahe – sie sind aber leider vom Gesetzgeber hier nicht formuliert worden. Der Bezug zum Steuerrecht (Einkommensteuer) lässt eher vermuten, sie sei ähnlich wie eine (pfändbare) Steuerrückerstattung.

Die Experten diskutieren, ob der Pfändbarkeit ggf. die bestehenden zwangsvollstreckungsrechtlichen Regelungen entgegenstehen. Im Ergebnis geht man hier jedoch von einer Pfändbarkeit aus. Dass eine mögliche Pfändung der Energiepreispauschale bei den Empfängern zu Verstimmung führen wird, ist klar. Ob der Gesetzgeber noch einmal nachfasst, bleibt abzuwarten.

Insolvenzgeld und EPP

Grds. besteht der Anspruch auf EPP gegen den Arbeitgeber. Es gibt div. Konstellationen, in denen der Anspruch in den sog. „Insolvenzgeldzeitraum“ fällt, der drei Monate beträgt. Da erhalten die Mitarbeiter*innen des  insolventen Unternehmens jedoch keine Entgeltzahlung durch ihren Arbeitgeber, sondern meist von einer Bank via Vorfinanzierung des Insolvenzgeldes.

Die Entgeltersatzleistung kommt später von der Agentur für Arbeit, auch für (Beispiel) September 2022 (Insolvenzgeldzeitraum). In dem Fall erhalten die Arbeitnehmer aber keine Auszahlung der Energiepauschale. Denn der Gesetzgeber will, dass die Arbeitgeber die Energiepauschale an die Mitarbeiter auszahlen. Arbeitgeber sollen von der für jeden einzelnen Arbeitnehmer für den Monat August 2022 an das Finanzamt abzuführende Einkommensteuer 300 € (abzüglich der hierauf entfallenden Steuern) einbehalten. Dieses einbehaltene Geld sollen die Arbeitgeber dann im Folgemonat, dem September 2022, an die Mitarbeiter als Energiepauschale auszahlen.

Das heißt: In der vorläufigen Insolvenz zahlt die Schuldnerin/Arbeitgeber für den Monat August keine Arbeitsentgelte, dann kann der Arbeitgeber auch keine Einkommensteuer einbehalten. Folglich kann der AG im September auch nichts (Einbehaltenes) auszahlen.

Die Bundeagentur für Arbeit (BA) ist nicht „Ersatzzahler“. Die BA gewährt Netto-Entgeltersatzleistung, aber keine Energiepauschale. Daher kann die EPP auch nicht über das vorfinanzierte Insolvenzgeld ausgezahlt werden. Das ist auch logisch, denn die BA hat vorher auch keine Steuern zur Finanzierung der Pauschale einbehalten.

Gehen Arbeitnehmer*innen in der Insolvenz wegen EPP leer aus?

Nein: Falsch wäre jedenfalls die Behauptung „ich Arbeitnehmer eines insolventen Unternehmens bekomme keine Energiepreispauschale“. Richtig ist, dass jeder AN eine tatsächliche Begünstigung genießt. Denn alle Arbeitnehmer erhalten die Energiepauschale, bei Insolvenzgeldbezug aber (leider) erst im nächsten Jahr.

Die Begünstigung erfolgt durch Steuerbescheid, der eine vorherige Steuererklärung voraussetzt. Da die betroffenen Arbeitnehmer aufgrund des Insolvenzgeldbezuges (wegen des Progressionsvorbehalts) sowieso eine Steuererklärung abgeben müssen, dürfte das wenig Mehraufwand sein. Das zuständige Wohnsitz-Finanzamt (FA) kann anhand der AN-Angaben feststellen, dass von der Einkommensteuer in 2022 tatsächlich nichts einbehalten wurde. Der AN war in 2022 also ohne Energiepauschale.

Das FA zieht dann wohl den Betrag der Energiepauschale von der rechnerischen Steuerlast ab. Der AN hat per Saldo auch € 300,00 zusätzlichen Ertrag, besser gesagt, weniger Steuer. Das ist alles recht kompliziert. Es sind halt keine einfachen Zeiten.

Für weitere Informationen und Neuigkeiten folgen Sie uns gerne bei LinkedIn!

BGH stärkt Rechte von Legal-Tech-Anbieter – Inkasso auch bei Abwehr der Forderungsentstehung

23. Juni 2022

Der VIII Zivilsenat des BGH hat mit seinem jüngst veröffentlichten Urteil vom 30.03.2022 (Az. VIII ZR 256/21) weiter die Rechte von Legal-Tech-Anbietern gestärkt. Mit deutlichen Worte hat er das Urteil des Berufungsgerichts aufgehoben und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Dabei beschränkt sich der BGH nicht nur auf die für die Revision zu beurteilenden Argumente, sondern legt neue Leitsätze zur Inkasso-Dienstleistung.

Legal-Tech-Unternehmen

Die Klägerin ist die Conny GmbH, ein Legal-Tech-Unternehmen. Der Begriff Legal-Tech setzt sich zusammen aus „legal services“ und „technology“ und ist bezeichnend für die Digitalisierung juristischer Arbeit. Via Legal-Tech können Arbeitsprozesse oder sogar ganze Rechtsdienstleistungen automatisiert werden. Die individuelle Rechtsberatung soll ein skalierbares Produkt werden.

Auf dem Markt zeigen sich bereits erste Legal-Tech-Unternehmen, die eine Registrierung als Inkassodienstleister nach dem Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) erhalten haben. So auch die Conny GmbH.

Der Ausgangsfall

In Berlin herrscht die Mietpreisbremse. Mieter können sich im Internet an die Conny GmbH wenden, um sich zunächst den zulässigen Höchstbetrag ausrechnen zu lassen. Über einen Button „Mietsenkung beauftragen“ kann dieser dann ein Schreiben von Conny an den Vermieter auslösen, mit welchem Auskunftsansprüche und ggf. Rückzahlungsansprüche geltend gemacht werden. Zudem wird der Vermieter aufgefordert – hier wird es problematisch -, künftig auf illegale Mieterhöhungen zu verzichten und den Mietzins auf den zulässigen Höchstbetrag herabzusetzen. Für dieses Schreiben rechnet die Conny GmbH dann Gebühren ab.

Das LG Berlin lehnt Klage zunächst ab

Das LG Berlin erkennt in dem Vorgehen der Conny GmbH einen Verstoß gegen das RDG. Nach dem RDG dürfen Inkassounternehmen durchaus entgeltliche Dienstleistungen erbringen. Allerdings sei hier durch die Abwehr unrechtmäßiger Mietforderungen in unzulässiger Weise das anwaltliche Berufs- und Vergütungsrecht umgangen worden. Die Forderungsabwehr sei gerade keine bloße Inkasso-Tätigkeit mehr. Die Gebühren dürften somit nicht abgerechnet werden.

BGH: „Bereits im Ansatz verfehlt“

In seinem Urteil vom 30.03.2022 (Az. VIII ZR 256/21) wählt der BGH ungewöhnlich scharfe Formulierungen, wie z.B. „bereits im Ansatz verfehlt“ oder „das Berufungsgericht hat (erneut) verkannt“. Der Ärger der Karlsruher Richter ist auch durch fast inflationäre Verwendung von Begriffen, wie „rechtsfehlerhaft“ greifbar. Das hierdurch statuierte Exempel wird vermutlich die unterinstanzliche Rechtsprechung nachhaltig prägen.

Auch Forderungsabwehr kann Inkassoleistung sein

Die künftige Abwehr überhöhter Mietforderungen, ist – so der BGH – eng mit dem Umstand verknüpft, künftige Rückforderungsansprüche zu vermeiden. Rückforderungen überzahlter Miete sind nicht sinnvoll von dem Herabsetzungsbegehren des Mieters zu trennen. Die Leistung der Conny GmbH ist demnach zulässig und auch nach dem RDG abrechenbar.

Offenes RDG-Verständnis wird fortentwickelt

Der VIII. Zivilsenat des BGH bezieht sich auch auf das Urteil vom 13.07.2021 (Az. II ZR 84/20), in welchem sich der II. Zivilsenat des BGH mit der „Sammelklage-Inkasso“ auseinandersetzte. Gegenstand war seinerzeit die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen nach § 823 Abs. 2 BGB iVm § 15a Abs. 1 InsO gegen einen Geschäftsführer der insolventen Fluggesellschaft Air-Berlin. Schon hier stand im Kern nicht nur das bloße Eintreiben von Forderungen, sondern auch die Bündelung der Anspruchssteller für einen zu führenden Gerichtsprozess im Vordergrund. Die Zulässigkeit wurde bejaht.

Fazit und Ausblick

Kein digitaler Algorithmus oder Automatismus kann eine fachkundige anwaltliche Beratung und Dienstleistung per se ersetzen. Legal-Tech-Unternehmen erhalten dennoch mit dem Urteil des BGH vom 30.03.2022 einen Aufschwung. Der Zugang zum Recht soll beschleunigt und erleichtert werden. Stärkungen des Legal-Tech-Bereichs sind zu erwarten.

Der Markt und technische Entwicklungen bieten Möglichkeiten für moderne Anwaltskanzleien, Legal-Tech mit klassischer und individueller Beratung zu vereinen. Hiervon können Anwälte und Unternehmer gleichermaßen profitieren.

Für weitere Informationen und Neuigkeiten folgen Sie uns gerne bei LinkedIn!

Transparenzregister und Finanzinformationsgesetz – Mitteilungspflichten erfordern erhebliche Aufwendungen

10. Juni 2022

Mit dem Transparenzregister- und Finanzinformationsgesetz vom 25.06.2021 traten – bis auf wenige Ausnahmen – am 01.08.2021 Änderungen des Geldwäschegesetzes (GwG) in Kraft. Diese werden für GmbH zum 30.06.2022 relevant, für AG galt die Frist schon zum 31.03.2022.

1. Aktuelle Gesetzeslage

Mit dem Transparenzregister- und Finanzinformationsgesetz wurde das nationale Transparenzregister von einem Auffangregister auf ein Vollregister umgestellt. Der sog. „wirtschaftlich Berechtigte“ des jeweiligen Rechtsträgers kann und soll nun unmittelbar dem Transparenzregister entnommen werden.

Galt bislang die Pflicht zur Mitteilung an das Transparenzregister nach § 20 Abs. 1 Satz 1 GwG als erfüllt, wenn sich die notwendigen Angaben zum wirtschaftlich Berechtigten bereits aus anderen Dokumenten und Eintragungen ergaben, die elektronisch abrufbar waren, wie bspw. aus dem Handelsregister (vgl. § 20 Abs. 2 GwG a.F.), wurde diese Mitteilungsfiktion mit der Umstellung auf ein Vollregister aufgehoben.

Für die Fälle, in denen bislang die Mitteilungsfiktion galt, waren jedoch Übergangsfristen für Mitteilungen (§ 59 Abs. 8 GwG) an das Register vorgesehen:

  • Aktiengesellschaften, SE, Kommanditgesellschaften auf Aktien: bis zum 31. März 2022,
  • Gesellschaften mit beschränkter Haftung, Genossenschaften, Europäischen Genossenschaften oder Partnerschaften: bis zum 30. Juni 2022 und
  • in allen anderen Fällen: bis spätestens zum 31. Dezember 2022

2. BVA zu Meldepflichten in Sonderfällen, etwa im Insolvenzverfahren

Gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 GwG haben juristische Personen des Privatrechts und eingetragene Personengesellschaften die in § 19 Abs. 1 GwG aufgeführten Angaben zu den wirtschaftlich Berechtigten dieser Vereinigungen einzuholen, aufzubewahren, auf aktuellem Stand zu halten und der registerführenden Stelle unverzüglich zur Eintragung in das Transparenzregister mitzuteilen. Wichtig ist der Hinweis, dass diese Pflicht durch eine entsprechende Bußgeldbewährung begleitet werden. Der „wirtschaftlich Berechtigte“ findet ich in § 3 GwG. Die Vorschrift bestimmt jedoch nicht eindeutig, wer im Insolvenzverfahren wirtschaftlich Berechtigter des schuldnerischen Unternehmens ist.

Das aufsichtführende Bundesverwaltungsamt (BVA) hat sich in seinen FAQs vom 25.05.2022 erstmalig zu div. Themen und Einzelfragen, auch zum Thema Insolvenzverwalter geäußert.

FAQ: https://www.bva.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/Aufgaben/ZMV/Transparenzregister/Transparenzregister_FAQ.pdf;jsessionid=6A7A0A09FBE51A0AF8487197ADC4DA7D.intranet671?__blob=publicationFile&v=35

Das BVA vertritt u.a. die Auffassung, dass eine Vereinigung/Gesellschaft in Liquidation oder in Insolvenz bis zur Eintragung ihrer Löschung zur Mitteilung an das Transparenzregister und zur Aktualisierung bereits vorhandener Mitteilungen verpflichtet ist.

Ferner gelte der Insolvenzverwalter aufgrund der ihm nach § 80 Abs. 1 InsO zustehenden Verwaltungs- und insbesondere Verfügungsbefugnis als tatsächlich wirtschaftlich Berechtigter, da er Kontrolle auf sonstige Weise nach § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 GwG (sic) ausübe. Der Insolvenzverwalter gelte neben Kapitalanteil- oder Stimmrechtsinhabern mit über 25 % als wirtschaftlich Berechtigter; er ersetze diese nicht.

3. Hinweise für die Praxis

Bis zu einer abschließenden richterlichen Klärung ist den FAQ der BVA zu folgen. Alternativ kann in bestimmten Fällen eine Meldepflicht des Insolvenzverwalters verneint und begründet werden, was ggf. im Einzelfall ausgeführt werden müsste. Hier sei bereits auf einen Fachbeitrag von Berg/d‘Avoine/d‘Avoine in der ZIP verwiesen, der am 17.06.2022 erscheinen wird.

Demnach kann einigen Vorgaben bzw. Maßgaben des BVA nicht gefolgt werden. Nach der herrschenden Amtstheorie zur rechtlichen Stellung des Insolvenzverwalters, der den Zielen der Insolvenzordnung, d.h. der gemeinschaftlichen Befriedigung der Gläubiger, verpflichtet ist, bleibt der Schuldner – trotz des Übergangs der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis – Träger von Rechten und Pflichten und mithin wirtschaftlich Berechtigter. Es steht nicht in Frage, dass der Schuldner wirtschaftlich Berechtigter ist, sondern lediglich, ob die Feststellung desselben im Insolvenzfall noch sinnvoll ist. Dass das Bundesverwaltungsamt (BVA) den Insolvenzverwalter als zusätzlichen wirtschaftlich Berechtigten erfassen möchte, versteht sich. Die Behörde will erreichen, dass jedenfalls eine Person „greifbar“ ist und bleibt. Denn vielfach sind Ex-Geschäftsführer von Gesellschaften nicht (mehr) erreichbar oder melden sich einfach nicht. Der Insolvenzverwalter wäre für das BVA eine praktisch greifbare Person und damit „Zielsubjekt“.

Es muss erkannt werden, dass das BVA durchaus im Verwaltungszwang vorgehen und etwa Bußgeldbescheide verhängen könnte. Das sollte durch rechtzeitige Meldungen und/oder zeitnahe Korrespondenz bzw. Erörterung mit dem BVA im Einzelfall vermieden werden.

Für weitere Informationen und Neuigkeiten folgen Sie uns gerne bei LinkedIn!

Wiedereinstellungsanspruch in der Insolvenz

7. Juni 2022

In einem aktuellem Urteil, das allerdings bislang nur als Pressemitteilung vorliegt, hat das Bundesarbeitsgericht seine restriktive Haltung zum Wiedereinstellungsanspruch eines Arbeitnehmers in einem laufenden Insolvenzverfahren bekräftigt (BAG vom 25.05.2022, Az. 6 AZR 224/21).

Außerhalb eines Insolvenzverfahrens kommt ein Wiedereinstellungsanspruch eines Arbeitnehmers dann in Betracht, wenn sich die Stilllegungsentscheidung des Arbeitgebers und die damit verbunden Prognose des Arbeitgebers für den Wegfall des Arbeitsplatzes noch während der laufenden Kündigungsfrist ändert, etwa weil er sich entscheidet, den Betrieb / Betriebsteil doch fortzuführen, oder weil es zu einem ungeplanten Betriebs(teil)übergang auf einen neuen Betriebsinhaber kommt, der den Betrieb weiterführen möchte.

Wiedereinstellungsanspruch bei Insolvenz umstritten

Die Übertragung dieser Grundsätze auf einen insolventen Arbeitgeber ist seit jeher sehr umstritten. Das Bundesarbeitsgericht jedenfalls schloss in Fällen des Vollzugs eines Betriebsübergangs nach Ablauf der Kündigungsfrist des Arbeitnehmers einen Wiedereinstellungsanspruch grundsätzlich aus und begründete dies u.a. mit einem Verweis auf eine richtlinienkonforme Auslegung des § 613 a BGB (vgl. BAG vom 10.12.1998, NZA 1999, 422).

Forderung: Wiedereinstellungsanspruch auf Insolvenzverwalter umstellen

Nunmehr hatte das Bundesarbeitsgericht einen Fall zu entscheiden, in dem es nach der Kündigung von 20 Arbeitnehmern wegen einer geplanten Stilllegung noch im Laufe der Kündigungsfrist zu einem Betriebsübergang auf einen Erwerber kam. Die Arbeitnehmer verlangten von diesem mit Verweis auf den bestehenden Wiedereinstellungsanspruch die Weiterbeschäftigung.  Als dieser dann selbst Insolvenz beantragen musste, stellten die Arbeitnehmer ihren Anspruch auf den Insolvenzverwalter über das Vermögen des Erwerbers um und verlangten von diesem die Weiterbeschäftigung.

Bundesarbeitsgericht lehnt Forderung ab

Dies lehnte das Bundesarbeitsgericht in der o.g. Entscheidung ab. Spätestens mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Erwerbers sei der Wiedereinstellungsanpruch der Arbeitnehmer erloschen, denn die Insolvenzordnung binde gemäß § 108 Abs. 1 InsO den Insolvenzverwalter nur an bereits vom Schuldner begründete Arbeitsverhältnisse, könne aber keinen Kontrahierungszwang des Insolvenzverwalters begründen. Einen solchen Zwang könne nur der Gesetzgeber anordnen.

Planungssicherheit für Investoren

Das Urteil dürfte für Investoren in Übernahmeverhandlungen eine gewisse Planungssicherheit mit sich bringen. Oftmals wägen Investoren zwischen dem erwarteten Nutzen und den Risiken eines Invests ab, bevor sie sich entscheiden. Das Betriebsübergangsrisiko stellt auch in Zeiten eines immer arbeitnehmerfreundlicher werdenden Arbeitsmarktes oftmals ein Sanierungshemmnis dar.

Arbeitnehmer: Erhalt von Arbeitsplätzen wird schwerer

Für betroffenen Arbeitnehmer erschweren sich durch das Urteil die Aussichten auf Erhalt ihres Arbeitsplatzes. Neben der praktisch oftmals schwierigen Informationsbeschaffung werden viele Arbeitnehmer wegen der überschaubaren Prozessaussichten die Kosten eines Arbeitsgerichtsprozesses scheuen, wenn sie nicht rechtsschutzversichert sind.

Für weitere Informationen und Neuigkeiten folgen Sie uns gerne bei LinkedIn!

Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz: RA Dr. d’Avoine mitwirkend an Nachschlagewerk

24. Mai 2022

Dank Know-How und Spezialwissen aus der Krise: Am 12. Mai 2022 erschien das Praktikerhandbuch „Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz“ – Herausgeber Buth und Hermanns – inzwischen in der 5. Auflage. Die Neuauflage behandelt nahezu alle relevanten Themen zu Unternehmen in wirtschaftlichen Schwierigkeiten und gibt wertvolle Hinweise und Handlungsempfehlungen für Geschäftsleiter und Gesellschafter. Die 5. Auflage berücksichtigt selbstredend auch die Neuerungen des SanInsFOG und des StaRUG, welche vertieft dargestellt werden. Chancen und Risiken für Unternehmer werden umfassend analysiert.

Co-Autor ist der ATN-Partner Rechtanwalt Dr. Marc d’Avoine mit den Kapiteln zu Gesellschaftsrecht und Insolvenz – Kapitalerhaltung und Gläubigerschutz. Insbesondere werden Themen rund um die Insolvenzantragspflicht beleuchtet. Ferner werden die Aspekte Handlungsgebote vs. Zahlungsverbote und Haftung behandelt. Das Handbuch ist ein Muss für jeden Praktiker und Berater in der Krise und wertvoller Leitfaden für Geschäftsleiter, die im Fokus der Stakeholder steht. Das Handbuch für erfolgreiches Krisenmanagement bietet u.a. folgende Module und Aspekte:

  • betriebswirtschaftliche Ansatzpunkte einer Unternehmensrestrukturierung
  • umfassende Darstellung der Sanierung der leistungswirtschaftlichen Bereiche
  • rechtliche Ansatzpunkte einer Unter­nehmensrestrukturierung
  • mit Fällen aus der Praxis

Für Fragen rund um Krise, Restrukturierung, Sanierung und Insolvenz stehen Ihnen Rechtsanwalt Dr. Marc d’Avoine und sein kompetentes Team an den Standorten Wuppertal, Ratingen, Köln, Essen und Oberhausen gerne zur Verfügung.

Für weitere Informationen und Neuigkeiten folgen Sie uns gerne bei LinkedIn!

Kryptowerte
Art – Einordnung – Behandlung in Krise und Insolvenz

8. April 2022

Art und Einordnung von Kryptowerten

Krypotowerte und Kryptowährungen haben Einzug erhalten in die globalen Finanzsysteme. Kryptotoken, wie zum Beispiel Bitcoin, sind handelbares Tauschmittel. Eine staatliche Kontrolle oder Regulierung ist zwar angestrebt. Bislang sind die meisten Kryptowährungen allerdings weitestgehend nicht reguliert. Weit verbreitet ist die Vorstellung, dass Kryptowährungen anonym und Transaktionen nicht nachvollziehbar seien. Das ist in der Einfachheit nicht korrekt.

Die globale Marktkapitalisierung von Kryptowerten bzw. – währungen liegt bei € 112 Milliarden [1]. Die Tendenz ist steigend. Jedermann kann im Internet schnell und vergleichsweise unkompliziert Kryptowerte erwerben. Als Teilnehmer im Kryptospace, können auf einfachem Wege staatlich anerkannte Währungen (Euro, Dollar, u.a.) in Kryptowerte transferiert werden.

Behandlung in Krise und Insolvenz

In der Krise mögen gerade Kryptowerte ein Mittel der Finanzierung sein. Der Zeitpunkt der Transaktion bzw. des Verkaufs ist von entscheidender Bedeutung, da Kryptowerte bekanntlich hohen Wertschwankungen unterliegen. Allein Pressemitteilungen von Investoren, Kaufabsichten von Organisationen, Banken oder institutionellen Anlegern aber auch Krisen wie Covid-19 oder der Ukrainekrieg lassen die Werte zum Teil binnen Stunden fallen aber auch steigen, und zwar im zweistelligen Prozentbereich. Spekulationen rund um Kryptowährungen beeinflussen die ohnehin sehr volatilen Werte enorm.

Aus Sicht eines Insolvenzverwalters ist die Behandlung von Kryptowährungen in der Insolvenz hoch anspruchsvoll. Es stellt sich zunächst das Problem, ob Kryptowährungen überhaupt Teil der Insolvenzmasse sind. Und wenn ja, wie die Verwertung am besten erfolgt. Fraglich ist weiter, wie der Insolvenzverwalter Kenntnis dieser Werte erlangt und welche Konsequenzen Insolvenzschuldnern drohen, die sich weigern bei der Aufklärung oder Verwertung mitzuwirken.

Rechtsqualität geregelt

Der deutsche Gesetzgeber hat die Rechtsqualität von Kryptowährungen in § 1 Abs. 11 Satz 4 Kreditwesengesetz (KWG) definiert. Hiernach sind Kryptowährungen digitale Darstellungen eines Wertes, welche als Zahlungsmittel oder Anlagezwecken dienen und ausschließlich elektronisch übertragen, gespeichert und gehandelt werden. Dass Kryptowerte Vermögen darstellen, dürfte bereits aufgrund der regen Marktpräsenz auf der Hand liegen.

Kryptowährungen sind Teil der Insolvenzmasse

Im Ergebnis fallen Kryptowährungen auch unter die Insolvenzmasse nach § 35 Insolvenzordnung (InsO). Nach den Grundsätzen des deutschen Insolvenzrechts soll der Insolvenzverwalter mit Insolvenzeröffnung die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Insolvenzschuldners ausüben, § 80 Abs. 1 InsO.

Inhaberschaft des private keys

Zur Transaktion eines Krypotwertes sind technische Grundkenntnisse erforderlich. Die technischen Anforderungen sind zum Teil umfangreich und kompliziert. Es kommt dabei entscheidend darauf an, wo der Berechtigte bzw. der Insolvenzschuldner seinen private key aufbewahrt. Dieser private key ist nämlich zwingend als Legitimation des Verfügenden notwendig, um Transaktionen von Kryptowerten auszuführen. Gespeichert wird der private key in einer Wallet. Diese Wallet kann unterschiedlich ausgestaltet sein (Hardware-, Paperwallet, etc). Der Schuldner kann die Wallet selbst unterhalten oder auch einen Anbieter mit der Aufbewahrung (Kryptoverwahrer) beauftragen. Dieser Anbieter hat dem Insolvenzverwalter auf Anfrage die Verfügungsgewalt einzuräumen. Problematischer ist es jedoch, wenn der Schuldner seinen private key selbst verwaltet.

Kenntnis über Kryptowerte

Für den Insolvenzverwalter ist es oft schwierig, überhaupt Informationen über vorhandene Kryptowerte zu erlangen. Es besteht die Gefahr, dass Insolvenzschuldner vorhandene Kryptowerte „vergessen“ oder sogar wissentlich verschweigen. Die Aufklärung ist dann erheblich erschwert. Über Kontoauszüge des Schuldners könnten Umwandlungen oder Käufe von Kryptowerten aufgedeckt werden. Ansonsten besteht natürlich auch die Möglichkeit, Kenntnis von Seiten einzelner Gläubiger, welche rückständige Kryptowerte im Insolvenzverfahren zur Tabelle anmelden, zu erlangen. Ohne die Mitwirkung von Dritten ist die Kenntniserlangung jedoch schier unmöglich.

Mitwirkung des Schuldners und zwangsweise Durchsetzung

Sollten Kryptowerte des Schuldners bekannt sein, ist der Schuldner verpflichtet, bei der Verwertung mitzuwirken, § 97 InsO. Hierzu kann er aufgefordert werden, die Kryptowerte direkt in eine staatliche Währung wie EUR umzuwandeln und den Umrechnungswert an die Insolvenzmasse auszuzahlen. Im Übrigen kann er auch dazu aufgefordert werden, den private key oder den Verwahrer des private keys bekanntzugeben. Erst mit dem private key erhält der Insolvenzverwalter unmittelbare Verfügungsgewalt über Kryptowerte bzw. -währungen.

Sollte sich der Schuldner weigern, im Verfahren mitzuwirken, kann dieser nach dem deutschen Insolvenzrecht auch mit Zwangsmaßnahmen (§ 98 InsO) belegt werden. Hierzu stehen Zwangsmittel wie die zwangsweise Vorführung oder sogar Haft zur Verfügung. Die Haftdauer wäre jedoch gemäß § 802j Abs. 1 Satz 1 ZPO auf einen Zeitraum von sechs Monaten beschränkt. Sollte der Schuldner die Haftdauer durchstehen, sind weitergehende Zwangsmittel der Insolvenzordnung nicht gegeben. Gem. § 300 Abs. 3 InsO wäre auch auf Antrag eines Gläubigers über die Versagung der Restschuldbefreiung durch das Insolvenzgericht zu entscheiden. Weitergehende Maßnahmen, um den Insolvenzschuldner zur Bekanntgabe der Zugangsdaten zu zwingen, stellt die Insolvenzordnung nicht zur Verfügung.

Verwertung in der Insolvenz

Ist der Insolvenzverwalter letztlich im Besitz des private keys, hat er mehrere Möglichkeiten vorhandene Kryptowährungen zu verwerten. Am einfachsten ist es, den private key direkt an eine dritte Person zu verkaufen und gegen Zahlung einer staatlichen Währung an diese herauszugeben. Mit dem private key könnte der Insolvenzverwalter die Kryptowerte  bzw. -währungen auch unmittelbar selbst transferieren oder bei einer anerkannten Krytobörse in eine staatliche Währung umwandeln. Oder er schaltet spezielle Dienstleister ein, die ihn bei der Verwertung treuhänderisch unterstützen.

Gefahren bei der Verwertung

Bei der Verwertung ist Eile geboten. Der Marktwert einzelner Kryptowerte ist enorm volatil. Erhebliche Kursschwankungen bis hin zum möglichen Totalverlust des Kryptowertes erfordern rasches Handeln des Insolvenzverwalters. Zugleich ist auch bei Kenntnis des private keys nicht ausgeschlossen, dass der Schuldner diesen weiterhin verwendet und unberechtigte Transaktionen zu Dritten ausführt. Das direkte Transferieren der Kryptowerte in das Vermögen des Insolvenzverwalters als Sicherungsmaßnahme sollte – aus Haftungsgründen – vermieden werden. Auch wenn sich dies insbesondere dann anbietet, wenn der Insolvenzverwalter selbst Teilnehmer im Kryptospace ist.

Fazit und Ausblick

Krypotowerte spielen in Krise und Insolvenz zunehmend eine wichtige Rolle. Die globalen Finanzsysteme müssen Kryptotoken behandeln. Ob und wie künftig eine staatliche Kontrolle oder Regulierung erfolgen kann oder soll, ist offen. Schon die aktuelle und die zukünftig zu erwartende Marktkapitalisierung von Kryptowährungen (aktuell ca. € 112 Milliarden) und die Fähigkeit, im Kryptospace in staatlich anerkannte Währungen (Euro, Dollar, u.a.) transferiert zu werden, zwingt zu erhöhter Beachtung in allen Bereichen. Kryptowerte stehen damit auch zunehmend im Fokus für Sanierer und Insolvenzverwalter. Sie zu behandeln, zu sichern und extrem volatile Werte zu verwerten, ist Aufgabe und Herausforderung zugleich.

 

[1] Quelle: https://coinmarketcap.com/ (zuletzt aufgerufen 01.04.2022)

Rückzahlungen auf Corona-Hilfen lösen Sorgen aus

30. März 2022

Empfänger staatlicher Unterstützungsleistungen geraten finanziell unter Druck

Moratorium oder ein modernes Sanierungsverfahren kann ein Ausweg sein

Das Bundesministerium der Finanzen und die obersten Finanzbehörden der Länder haben seit Ausbruch der Pandemie diverse Unterstützungen und verschiedene steuerliche Erleichterungen beschlossen, um die von der Corona-Krise Steuerpflichtigen (auch Freiberufler) zu entlasten. Ziel war es, die Liquidität bei Unternehmen zu verbessern, die durch die Corona-Krise in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten waren bzw. noch sind.

Das FAQ des BMF im Einvernehmen mit den obersten Finanzbehörden der Länder wird regelmäßig aktualisiert.

https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standardartikel/Themen/Steuern/2020-04-01-FAQ_Corona_Steuern.html

So wird für die Betroffenen bis zum 30. Juni 2022 in der Regel die Möglichkeit eingeräumt, Steuerzahlungen zinslos zu stunden; ebenso soll auf die Vollstreckung rückständiger Steuerschulden verzichtet werden. Dies verschafft den Steuerpflichtigen eine Zahlungspause gegenüber dem Finanzamt. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, die Vorauszahlungen zur Einkommen-, Körperschaft- und zur Gewerbesteuer herabzusetzen.

Die vom Staat gewährten Leistungen unterscheiden sich nach nicht rückzahlbaren und rückzahlbaren Hilfen bzw. Zuwendungen:

  1. Zu den nicht rückzahlbaren Hilfen zählen insbesondere Kurzarbeitergeld, erleichterter Zugang zur Grundsicherung, der Sonderfond des Bundes für Kulturveranstaltungen sowie der Sonderfond des Bundes für Messen und Ausstellungen. Diese sind grundsätzlich nicht rückzahlbar. Aber es gibt Ausnahmen: Es muss mit Rückzahlungsbescheiden gerechnet werden, wenn Stichproben der Behörden fehlerhafte und im Nachhinein unberechtigte Angaben in den Antragsunterlagen belegen.
  2. Zu den u.U. rückzahlbaren Hilfen zählen insbesondere die Überbrückungshilfen I – IV, die sukzessive für die Monate zwischen Juni 2020 und März 2022 gewährt wurden. Dies gilt aber nur, wenn die gezahlten Zuschüsse den endgültigen Anspruch nach einer vorzulegenden „Endabrechnung“ übersteigen oder keine Endabrechnung eingereicht wird. Die Endabrechnung aller Überbrückungshilfen kann nur über einen „prüfenden Dritten“ bis spätestens 31.12.2022 erfolgen. Prüfende Dritte sind dabei Berufsangehörige im Sinne des § 3 StBerG, also Steuerberater inklusive Steuerbevollmächtigten, Wirtschaftsprüferinnen oder Wirtschaftsprüfer, vereidigte Buchprüferinnen oder Buchprüfer oder Rechtsanwältinnen/ Rechtsanwälte. Erfolgt keine Schlussabrechnung, ist die gewährte Hilfe auf einen entsprechenden behördlichen Bescheid in voller Höhe zurückzuzahlen. Ebenso werden nach der Endabrechnung festgestellte Überzahlungen zurückgefordert. Rückzahlungen bereits ausgezahlter Zuschüsse sind bis zur Endabrechnung grundsätzlich nicht zu verzinsen. Eine Verzinsung könnte allerdings eintreten, wenn nach der Rückforderung die dort gesetzten Zahlungsziele nicht eingehalten werden oder aber von Anfang an ein Subventionsbetrug begangen wurde.
  3. Zu den rückzahlbaren Hilfen zählen auch die Neustarthilfen (Neustarthilfe 1, Neustarthilfe Plus, Neustarthilfe 2022). Diese wurden Unternehmern und Unternehmen mit bis zu € 7.500,00 für Einzelunternehmungen und bis zu € 30.000,00 für Mehr-Personen- und Kapitalgesellschaften und Genossenschaften gewährt. Anders als bei den Überbrückungshilfen muss die Endabrechnung aber nicht über „prüfende Dritte“ erfolgen, sondern kann vom Unternehmer persönlich vorgenommen werden, falls er den Hilfeantrag selbst gestellt hat. Wird keine Endabrechnung vorgelegt oder wurden überhöhte Hilfen ausgezahlt, ergehen Rückzahlungsbescheide. Auch hier läuft die Frist zur Vorlage der Endabrechnung am 31.12.2022 ab, mit Ausnahme der Neustarthilfe 1. Für diese ist die Abrechnungsfrist am 31.12.2021 abgelaufen, wenn der Unternehmer den Hilfeantrag nicht über prüfende Dritte gestellt hat. Wer die Frist versäumt hat, sollte unverzüglich handeln und Rechtsrat einholen, um einen Rückforderungsbescheid noch zu vermeiden.
  4. Etwas anders wird die November – Dezemberhilfe 2020 Betroffene Unternehmen erhielten einen einmaligen Zuschuss von bis zu 75 Prozent des jeweiligen Umsatzes im November bzw. Dezember 2019 für die Dauer der Schließungen im November bzw. Dezember 2020. Im Falle einer Antragstellung über prüfende Dritte hat eine Schlussabrechnung bis spätestens 31.12.2022 zu erfolgen. Erfolgt keine Schlussabrechnung, ist die Novemberhilfe beziehungsweise Dezemberhilfe in gesamter Höhe zurückzuzahlen. Im Falle von Direktanträgen im eigenen Namen muss jedoch keine Endabrechnung eingereicht werden. Stattdessen ist mit stichprobenartigen Nachprüfungen durch die Bewilligungsstellen zu rechnen.
  5. Selbstverständlich rückzahlbar sind und bleiben gewährten Kredithilfen, wie z.B. das Unterstützungspaket für Start-ups 2020, der Wirtschaftsstabilisierungsfond des Bundes 2020 und diverse KfW Hilfen. Die Rückzahlung erfolgt gemäß der ausgehandelten Kreditverträge.

Unternehmer sollten und müssen ggf. bei Anforderungen von Rückzahlungen um Stundungen bitten und das wohl auch im Einzelfall verhandeln. Wenngleich die Themen im Fluss sind und u.U. noch eine bundeseinheitliche „Verschonung“ erörtert wird, sollte jeder Empfänger aktiv mit einer erwarteten oder bereits erfolgten Rückforderung umgehen und auch agieren.

Im kritischsten Fall kann eine „Regel-Insolvenz“ durch ein Moratorium bzw. ein modernes Sanierungsverfahren verhindert werden. Ein taugliches Verfahren ist beispielsweise der „Schutzschirm“ nach dem 2013 verkündeten „Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen“ (ESUG, jetzt § 270d InsO). Aber es gibt inzwischen auch andere Sanierungs-Werkzeuge.

Ergänzend oder alternativ wirkt das Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz (SanInsFOG) zum 01.01.2021. Das SanInsFOG beinhaltet neben dem „Unternehmensstabilisierungs- und –restrukturierungsgesetz“ (StaRUG) weitreichende gesetzliche Anpassungen im Bereich der Insolvenzordnung und der ergänzenden Corona bedingten Sonderbestimmungen im COVInsAG.

Die Restrukturierungsmaßnahmen nach dem deutschen „Schutzschirm“ gemäß § 270d InsO und der präventive Restrukturierungsrahmen nach §§ 29 ff. StaRUG sind inzwischen im offensiven Wettbewerb mit dem englischen „Scheme-of-Arrangement“ und dem niederländischen „Wet Homologatie Onderhands Akkoord“ (WHOA).

Das ESUG zum 01.01.2013 und das StaRUG zum 01.01.2021 bieten jeweils Möglichkeiten und Optionen für Unternehmer, Gesellschafter und Geschäftsleiter. Das Insolvenzrecht wurde auch in 2021 fortentwickelt, vor allem, weil ab 2021 eine Sanierung via Restrukturierungsrahmen möglich ist. Das wurde in der Praxis bisher aber eher selten eingesetzt, weil das Verfahren recht komplex und damit kostenintensiv ist. Die bisherigen Möglichkeiten eines Insolvenzplans – mit oder ohne Eigenverwaltung – bleiben erhalten, so dass es für den sanierungswilligen Unternehmer mehrere Alternativen gibt. In jedem Fall bedarf es profunder Überlegungen des Unternehmers und eines erfahrenen „Lotsen“ auf der – nicht ungefährlichen – Route.

Viele Wege stehen für eine erfolgreiche und zukunftsorientierte Unternehmenssanierung offen.

Für weitere Informationen und Neuigkeiten folgen Sie uns gerne bei LinkedIn!

Steuern in der Insolvenz und Sanierung: Prof. Dr. Peter Neu mitwirkend an Nachschlagewerk

15. März 2022

Große Komplexität, rechtliche Unsicherheiten – Steuern in der Insolvenz und Sanierung gehören zu den zentralen juristischen Herausforderungen. Hier liegt die Verantwortung beim Gesetzgeber, denn bis heute fehlt ein in sich geschlossenes Insolvenzsteuerrecht. So haben vor allem die Finanzgerichte und der BFH durch Einzelfallentscheidungen wichtige Leitplanken für die Beratungspraxis gesetzt. Hierbei ergibt sich ein zentrales Problem, denn innerhalb der insolvenzsteuerrechtlichen Beratung müssen Insolvenzverwaltung und Sanierungsexpertinnen und Sanierungsexperten meist innerhalb kürzester Zeit tragfähige Lösungen entwickeln.

Das Fachbuch „Insolvenz- und Sanierungssteuerrecht“ der Herausgeber Wolfgang Sonnleitner und Alexander Witfeld unterstützt in diesem Kontext die Beratungspraxis bei ihren täglichen Aufgaben. Prof. Dr. Peter Neu, unser Experte für Sanierung, Restrukturierung und Insolvenz, hat an diesem zentralen Nachschlagewerk mitgewirkt. Es bietet Steuerberatern, Rechtsanwälten, Insolvenzverwaltern, Sanierungsberatern und Wirtschaftsprüfern zahlreiche Vorteile. Dazu gehören beispielweise:

  • eine praxisnahe Darstellung,
  • die Auswertung aktueller Rechtsprechung, Verwaltungsauffassung und Literatur
  • sowie eine systematische, nachvollziehbare und zugleich kritische Aufbereitung eines kaum kodifizierten Rechtsbereichs.

„Dieses Fachbuch wird zahlreichen Lesern ein wertvolles Werkzeug sein, um sich in der Praxis erfolgreich mit dem Insolvenz- und Sanierungssteuerrecht zu befassen. In diesem Zusammenhang möchte ich Wolfgang Sonnleitner und Alexander Witfeld sowie dem Verlagshaus C.H. Beck für das entgegengebrachte Vertrauen und die hervorragende Zusammenarbeit danken“, sagt Peter Neu.

Sollten Sie in Steuerfragen bei Insolvenz und Sanierung Fragen haben oder eine Beratung wünschen, stehen Ihnen Prof. Dr. Peter Neu und sein kompetentes Team an den Standorten Remscheid, Hagen und Köln gerne zur Verfügung.

Für weitere Informationen und Neuigkeiten folgen Sie uns gerne bei LinkedIn!