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Folgen des BGH Urteils vom 27.10.2022

18. Januar 2023

BGH Urteil vom 27.10.2022 zwingt Insolvenzverwalter zu einem geänderten Vorgehen bei Verwertung verpfändeter /abgetretener immaterieller oder sonstiger Rechte

BGH Urteil vom 27.10.2022 – IX ZR 145/21, ZIP 2022, 2553 ff.

Das BGH Urteil vom 27.10.2022 – IX ZR 145/21, ZIP 2022, 2553 ff. bringt die Insolvenzverwalterpraxis zum Nachdenken, wohl auch zu einem geänderten Vorgehen bei Verwertung verpfändeter /abgetretener immaterieller oder sonstiger Rechte. Letztere wurden in der Praxis bei einem Verkauf aus der Insolvenz bisher nach § 166 InsO (analog) behandelt und verwertet, also durch den Insolvenzverwalter selbst, der später gegenüber dem Berechtigten (etwa Darlehnsgeber und Sicherungseigentümer oder Abtretungsempfänger = Zessionar) abrechnen musste. Vorher hat der Verwalter den Sicherheitennehmer zu „befragen“, ob dieser ggf. eine bessere oder günstigere Möglichkeit des Verkaufs bzw. der Verwertung hat, das ergibt sich aus § 168 InsO. Der Sicherheitennehmer kann auch selbst übernehmen, um ggf. eine unterpreisige Verwertung zu vermeiden.
Dieses Vorgehen der Insolvenzverwalter wurde, soweit ersichtlich, in der Praxis bis 2022 nie oder kaum beanstandet, weder von Banken noch von anderen Sicherheitennehmern. Jetzt aber schafft der BGH Klarheit durch das
BGH Urteil vom 27.10.2022 – IX ZR 145/21, ZIP 2022, 2553 ff. , Anm. Bork, EWiR 2023, 15 ff.

Amtl. Leitsatz:

„Das Recht des Insolvenzverwalters, bewegliche Sachen, an denen ein Absonderungsrecht besteht, und zur Sicherheit abgetretene Forderungen des Schuldners zu verwerten, erstreckt sich nicht auf sonstige Rechte.“

1. Grundsätzliches zu den Rechten und Pflichten bei Verwertung in einem Insolvenzverfahren:

Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens geht das Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und über es zu verfügen, auf den Insolvenzverwalter über, § 80 InsO. Verfügungen des Schuldners selbst werden damit unwirksam, § 91 InsO.
Nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat der Insolvenzverwalter das gesamte zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen sofort in Besitz und Verwaltung zu nehmen, § 148 InsO. Besondere Herausforderungen stellen sich, wenn der Gegenstand verderblich ist (etwa Ost und Gemüse usw.) oder besonders volatil ist (etwa Aktien, Finanztitel, Kryptoassets usw.) Dann kommt es besonders auf den Zeitpunkt und die Art und Weise der Verwertung – im besten Sinn der Gläubiger – an. Darüber mag durchaus gestritten werden, leider passiert das oft nachträglich.
Nach dem Berichtstermin – in der Praxis ca. 6 bis 8 Wochen nach der Eröffnung – hat der Insolvenzverwalter unverzüglich das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwerten, soweit die Beschlüsse der Gläubigerversammlung nicht entgegenstehen, § 159 InsO. Der Insolvenzverwalter sucht daher nach optimalen Wegen einer Verwertung, freihändig oder auf andere Weise. Bei relevanten Entscheidungen ist die Gläubigerversammlung zu informieren, die entscheiden kann, aber sie muss es nicht zwingend. Dazu bestimmt § 160 InsO:
„Der Insolvenzverwalter hat die Zustimmung des Gläubigerausschusses einzuholen, wenn er Rechtshandlungen vornehmen will, die für das Insolvenzverfahren von besonderer Bedeutung sind. Ist ein Gläubigerausschuß nicht bestellt, so ist die Zustimmung der Gläubigerversammlung einzuholen. Ist die einberufene Gläubigerversammlung beschlussunfähig, gilt die Zustimmung als erteilt; auf diese Folgen sind die Gläubiger bei der Einladung zur Gläubigerversammlung hinzuweisen.“

2. Speziell Verwertung von Immobilien in der Insolvenz – Abgrenzung zu Mobilien

Anders ist es bei Grund und Boden und Gebäuden: Grds. können Immobilien, die mit Rechten (Hypotheken oder Grundschulden) Dritter belastet sind, nicht von einem Insolvenzverwalter freihändig verkauft werden. § 165 InsO sagt dazu: „Der Insolvenzverwalter kann beim zuständigen Gericht die Zwangsversteigerung oder die Zwangsverwaltung eines unbeweglichen Gegenstands der Insolvenzmasse betreiben, auch wenn an dem Gegenstand ein Absonderungsrecht besteht“.
Ergänzt wird § 165 InsO durch § 173 Abs. 1 InsO: „Soweit der Insolvenzverwalter nicht zur Verwertung einer beweglichen Sache oder einer Forderung berechtigt ist, an denen ein Absonderungsrecht besteht, bleibt das Recht des Gläubigers zur Verwertung unberührt.“
Mit anderen Worten: der Insolvenzverwalter ist bei belasteten Grundstücken i.d.R. an einem freihändigen Verkauf gehindert. Er kann und sollte sich mit den/dem Berechtigten abstimmen und ggf. eine (schriftliche) Vereinbarung über Art und Weise sowie Erlösverteilung treffen. Gelingt keine Einigung, gibt es noch einen sog. „Verwertungsantrag“ beim Insolvenzgericht, § 173 Abs. 2 InsO: „Auf Antrag des Verwalters und nach Anhörung des Gläubigers kann das Insolvenzgericht eine Frist bestimmen, innerhalb welcher der Gläubiger den Gegenstand zu verwerten hat. Nach Ablauf der Frist ist der Verwalter zur Verwertung berechtigt.“ So wird der Insolvenzverwalter frei bei der Verwertung auch von Immobilien.
Einfacher ist es bei Mobilien, auch wenn diese etwa unter Sicherungseigentum liegen: Gemäß § 166 Abs. 1 InsO darf der Insolvenzverwalter eine bewegliche Sache, an der ein Absonderungsrecht besteht, freihändig verwerten, wenn er die Sache in seinem Besitz hat. Gemäß § 166 Abs. 2 InsO darf der Insolvenzverwalter zudem eine Forderung, die der Schuldner zur Sicherung eines Anspruchs abgetreten hat, einziehen oder in anderer Weise verwerten.

3. Verwertung sonstiger Rechte – welches Recht gilt?

Nach dem Gesetzeswortlaut sind sonstige Rechte nicht der Verwertungsbefugnis des Insolvenzverwalters unterworfen. Die Frage, ob § 166 InsO auf sonstige Rechte (z.B. Geschäftsanteile, Erbteile, Mitgliedschaften, gewerbliche Schutzrechte, Marken, Patente, Kryptoassets u.a.) entsprechend anzuwenden ist, mithin ob auch insoweit ein Verwertungsrecht des Insolvenzverwalters besteht, war umstritten. Der Bundesgerichtshof hatte die Frage bis 2022 offenlassen können (vgl. Urteil vom 24. September 2015 – IX ZR 272/13, BGHZ 207, 23 Rn. 19). Der IX. Senat entschied am 27.10.2022 den Meinungsstreit dahin, dass § 166 InsO auf sonstige Rechte nicht entsprechend anzuwenden ist. Damit läuft die Verwertung von „sonstigen Rechten“ so wie die von Immobilien.

4. Bewertung des Urteils vom 24.09.2022

Das Urteil findet in breiten Teilen der Literatur kleine Zustimmung. In den Verfahren kommt es oft auf rasches Handeln durch Profis an, um für die Gläubiger gute Ergebnisse zu erreichen. Praktisch ist daher ein Verwertungsrecht des Insolvenzverwalters analog § 166 InsO, denn die einheitliche Verwertung von allen belasteten Gegenstände und Forderungen der Insolvenzmasse ist zur Wahrung der Chancen einer Betriebsfortführung, einer Planlösung oder übertragenden Sanierung zusammenzuhalten (Braun/Dithmar, 9. Aufl. 2022, InsO § 166 Rn. 30). Es wird auch unter Verweis auf die Gesetzgebungsgeschichte ein „Versehen des Gesetzgebers“ bei der Abfassung der Norm angeführt. Die Funktion des § 166 InsO ist jedenfalls – auch – die Vermeidung eines „Auseinanderreißens“ des Unternehmens im Interesse der Wahrung von Sanierungschancen einerseits und Ermöglichung einer gemeinsamen wirtschaftlichen Verwertung zusammengehöriger Gegenstände andererseits.
Daher kommt die Literatur auch zur einer (wenigstens) analogen Anwendung der Vorschrift, zum Teil ausdrücklich entweder von § 166 Abs. 1 InsO oder von § 166 Abs. 2 InsO. Das gilt jedenfalls für solche Rechte, die zur technisch-organisatorischen Einheit des Unternehmens gehören (vgl. AG Hamburg, ZIP 2021, 1985, 1986 f; Schmidt/Sinz, InsO, 19. Aufl., § 166 Rn. 37; HK-InsO/Hölzle, 10. Aufl., § 166 Rn. 44 f, 48; Flöther in Kübler/Prütting/Bork, InsO, 2022, § 166 Rn. 20; Uhlenbruck/Brinkmann, InsO, 15. Aufl., § 166 Rn. 35 ff.; HmbKomm-InsR/Scholz, 9. Aufl., § 166 InsO Rn. 28; Hirte in Festschrift Gero Fischer, 2008, S. 239, 249 ff; Häcker, Abgesonderte Befriedigung aus Rechten, Rn. 262 ff, 309; ders., ZIP 2001, 995, 997 ff (auch speziell zu Markenrechten); Marotzke, ZZP 109, 429, 449 f; Bitter/ Alles, KTS 2013, 113, 138 ff; Bitter, ZIP 2015, 2249 ff; Berger/Tunze, ZIP 2020, 52, 61; Keller, ZIP 2020, 1052, 1056 f).
Die Gegenauffassung stellte auf den Wortlaut der Vorschrift ab, eine planwidrige Regelungslücke bestünde nicht (MüKoInsO/Kern, 4. Aufl. 2019, InsO § 166 Rn. 103). Zudem komme angesichts der Tragweite einer Analogie im Hinblick auf eine Grundrechtseinschränkung nach Art. 14 GG nicht in Betracht.

5. Argumente des BGH im Urteil vom 27.10.2022 – IX ZR 145/21, ZIP 2022, 2553 ff.

Der BGH entscheidet mit Urteil vom 27.10.2022 – IX ZR 145/21, ZIP 2022, 2553 ff. diesen Streit und lehnt eine Analogie des § 166 InsO auf sonstige Rechte mit folgenden Argumenten ab:

  • Wortlaut und Systematik der Insolvenzordnung sprächen gegen eine Planwidrigkeit der Regelungslücke: So unterscheide das Gesetz an anderen Stellen ausdrücklich zwischen körperlichen Gegenständen, Forderungen und sonstigen rechten (vgl. § 90 BGB, § 413 BGB, §§ 829, 857 ZPO), im § 166 InsO sollten die sonstigen Rechte aber offensichtlich bewusst nicht geregelt werden.
  • Aus der Gesetzgebungsgeschichte lasse sich nicht auf eine Planwidrigkeit einer Regelungslücke schließen.
  • Zudem erfordere auch der Erhalt des technisch-organisatorischen Verbundes des schuldnerischen Unternehmens nicht zwingend die analoge Anwendung des § 166 InsO. So stünde dem Insolvenzverwalter beispielsweise auch bei mit Aussonderungsrechten belasteten Gegenständen (ein in der Praxis nicht unerheblicher Anteil des Unternehmens) kein Verwertungsrecht zu. Bei sonstigen Rechten sei die Interessenlage nicht vergleichbar mit Absonderungsrechten belasteten Gegenständen und Forderungen, denn die Unternehmenszugehörigkeit könne dort (z.B. bei nichtverbrieften Geschäftsanteilen) anders zu beurteilen sein und müsse daher immer im Einzelfall geprüft und festgestellt werden.

6. Fazit zum BGH Urteil vom 27.10.2022 – IX ZR 145/21, ZIP 2022, 2553 ff.

Die Insolvenzverwalterpraxis hat sich nach dem BGH Urteil vom 27.10.2022 – IX ZR 145/21, ZIP 2022, 2553 ff., zu richten. Das hatten Teile der Literatur auch vorher schon so gesehen (vgl. Jaeger/Eckardt, InsO, § 166 Rn. 436 f; Bornheimer/Westkamp in Nerlich/Kreplin, Münchener Anwaltshandbuch Insolvenz und Sanierung, 3. Aufl., § 29 Rn. 336; Tresselt, DB 2016, 514, 517 f).
Das fehlende Verwertungsrecht muss nun durch den Abschluss entsprechender Nutzungs- und Verwertungsvereinbarungen zwischen Verwalter und Sicherungsnehmer gelöst werden. Das ist meist zeitintensiv und konfliktbehaftet. Nicht wenige Verwertungen dürften am Disput zwischen den Protagonisten scheitern oder – manchmal recht spät – nur mäßige Ergebnisse bringen. Es kann nur geraten werden, so rasch wie möglich Wertgegenstände zu identifizieren und auch zu klären, wer ggf. welche Rechte an diesen Gegenständen haben könnte. Sodann sind Gespräche mit dem Sicherungsnehmer aufzunehmen mit dem Ziel eines konzertierten Vorgehens und einer optimalen Verwertung bei angemessener Aufteilung der Erlöse.

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