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Akte mit Covinsag

Das Insolvenzaussetzungsgesetz in der Praxis

14. Dezember 2021

Rechtshandlungen trotz ausgesetzter Insolvenzantragspflicht anfechtbar, wenn tatsächlich bereits Eigenantrag gestellt war

Seit Implementierung der zur Bekämpfung der SARS-CoV-2-Pandemie angeordneten Infektionsschutzmaßnahmen und der damit verbundenen Einschränkungen geschäftlicher Tätigkeiten von Unternehmen im März 2020 haben die staatlichen Ebenen mit verschiedenen Maßnahmen u.a. auch versucht, die Existenz der beeinträchtigten Unternehmen zu sichern. Dazu hat der Bundesgesetzgeber u.a. das COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetz (COVInsAG) erlassen. So wurde gemäß § 1 COVInsAG die in § 15a InsO normierte Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrages ausgesetzt, soweit die dazu zwingenden Insolvenzgründe (nur) pandemiebedingt eingetreten waren.

Gleichzeitig wurden alle Beteiligten ermutigt, die Sanierungsbemühungen der pandemiebedingt kriselnden Unternehmen durch pragmatische Handhabung von Zahlungen, Zahlungsverpflichtungen und deren Modifizierungen zu unterstützen. Für diese Maßnahmen wird in einem späteren Insolvenzverfahren die Unanfechtbarkeit fingiert. Voraussetzung dafür ist aber, dass die neben dem Unternehmen weiteren Beteiligten nicht wussten, dass die mit den Bemühungen angestrebte Sanierung gar nicht erreichbar war (§ 2 Abs. 1 Nr. 4 COVInsAG).

Was passiert, wenn der Eigenantrag bereits gestellt wurde?

Ausweislich eines nun bekannt gewordenen Hinweisbeschlusses des OLG München als Berufungsgericht vom 20.10.2021, Az. 5 U 4809/21 (Vorinstanz LG München I, Urteil v. 13.07.2021, 6 O 17571/20), war dort über die Anfechtbarkeit einer Rechtshandlung eines Unternehmens zu entscheiden, die vorgenommen worden war, als die Antragspflicht ausgesetzt war, tatsächlich aber bereits ein Eigenantrag gestellt war.

Beide Instanzen kamen zu dem Ergebnis, dass Rechtshandlungen dann nicht nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 COVInsAG von der Anfechtung ausgeschlossen sind, wenn das schuldnerische Unternehmen von seinem Recht, den Insolvenzantrag ausnahmsweise nicht stellen zu müssen, keinen Gebrauch gemacht.

Begründung der Instanzgerichte

Denn zum einen habe der Gesetzgeber mit der Regelung des Insolvenzaussetzungsgesetzes lediglich beabsichtigt, dass die Sanierungsmaßnahmen nicht faktisch wirkungslos blieben, weil die Akteure ihre Bemühungen aus Angst vor dem Scheitern der Sanierung und späteren Anfechtung direkt unterließen. Zum anderen habe der Gesetzgeber lediglich die Fälle zu stützen beabsichtigt, in denen das Unternehmen selbst die Hoffnung auf seine eigene Sanierung nicht bereits aufgegeben habe und das Privileg der Ausnahme von der Pflicht zur Antragstellung auch im Zeitpunkt der fraglichen Handlung tatsächlich noch in Anspruch nehme, also gerade nicht bereits einen eigenen Insolvenzantrag gestellt habe. Die tatsächliche Stellung eines eigenen Insolvenzantrages dagegen zeige gerade, dass die Unternehmung die außerinsolvenzlichen Sanierungshoffnungen trotz Insolvenzaussetzungsgesetz aufgegeben habe.

Da die Gerichte aufgrund des Vorstehenden bereits zu der Überzeugung kamen, dass § 2 Abs. 1 Nr. 4 COVInsAG vorliegend gar nicht erst anwendbar war, hatten sie nicht mehr zu entscheiden, ob der Anfechtungsgegner überhaupt von der Wirkung ausgenommen gewesen wäre, da er nicht Vertragspartner des Schuldners war.

Bewertung im konkreten Fall und generelle Indizwirkung des Eigenantrages

Die Entscheidung ist auf Basis der Entscheidungsgründe nachvollziehbar. Die Bedeutung des bereits gestellten Eigenantrages könnte aber ggf. anders zu bewerten sein, wenn sich nach dessen Stellung eine neue, aussichtreiche Sanierungschance aufgetan hatte, die mit der dann vorgenommenen Rechtshandlung verfolgt wurde. Hat ein erst nach Vornahme der Rechtshandlung eingetretenes weiteres Ereignis die Bemühungen im Ergebnis wieder aussichtslos werden lassen und ist der Eigenantrag bis dahin vorsichtshalber oder aus Zeitgründen zunächst noch und dann in der Folge auch endgültig stehengelassen worden, wird man in die Tatsache, dass ein Eigenantrag gestellt war, nicht ohne weiteres die Dokumentation des Scheiterns sämtlicher Bemühungen interpretieren können und die Rechtshandlung ggf. von der Anfechtung ausnehmen müssen.

(Un-)Anfechtbarkeit auch bei Vorliegen eines Fremdantrages

Spannend ist die zudem Frage, ob die Rechtshandlung auch dann anfechtbar gewesen wäre, wenn der Schuldner zwar von den Möglichkeiten des Insolvenzaussetzungsgesetzes Gebrauch gemacht hätte und (noch) keinen Eigenantrag gestellt gehabt hätte, jedoch ein zulässiger und begründeter Fremdantrag eines dritten Gläubigers vorgelegen hätte. Solche Anträge waren gemäß § 3 COVInsAG im Zeitraum zwischen dem 28.03.2020 und 28.06.2020 nur, wenn der Eröffnungsgrund bereits am 01.03.2020 (oder früher) vorlag, danach aber wieder unbeschränkt zulässig. Nach dem Wortlaut des § 2 Abs. 1 Nr. 4 COVInsAG ist nur auf die ausgesetzte Antragspflicht und die nicht gescheiterten Sanierungsbemühungen abzustellen. Ob ein (dem Anfechtungsgegner bekannter) Fremdantrag das Scheitern der Sanierungsbemühungen zu dokumentieren geeignet ist, wird dann zu entscheiden sein. Automatisch dürfte das nicht anzunehmen sein, denn wenn die Sanierungsbemühungen tatsächlich aussichtsreich waren, wäre dem Gläubiger im Zeitpunkt der Antragstellung ggf. sogar ein Zuwarten bis zur Sanierung zuzumuten gewesen. Scheiterten die Bemühungen im Ergebnis aber erst nach der Vornahme der Rechtshandlung aufgrund einer weiteren, unvorhergesehenen Entwicklung, ließe sich in einem solchen Fall auch für die Ausnahme der Rechtshandlung von der Anfechtbarkeit argumentieren.

Rechtsanwalt Peter Mazzotti – Partner, Insolvenzverwalter