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Bemessung des Schmerzensgeldes in Arzthaftungsangelegenheiten

9. November 2022

Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung kommt dem Schmerzensgeld rechtlich grundsätzlich eine doppelte Funktion zu. Die sog. Ausgleichsfunktion soll dafür Sorge tragen, dass der Geschädigte einen angemessenen Ausgleich für diejenigen erlittenen Schäden erhält, welche keinen Vermögensschaden darstellen. Darüber hinaus soll die sog. Genugtuungsfunktion dem Gedanken Rechnung tragen, dass der Schädiger dem Geschädigten für das, was er ihm angetan hat, Genugtuung schuldet (vgl. z.B. BGHZ 212, 48).

Nach einem aktuellen Urteil des Bundesgerichtshofs hat auch in Arzthaftungsangelegenheiten bei der Bemessung des Schmerzensgeldes neben dem Gesichtspunkt des Ausgleichs für die erlittenen Schmerzen zudem der Gesichtspunkt der Genugtuung Berücksichtigung zu finden (BGH Urt. v. 08.02.2022 – VI ZR 409/19 – NJW, 2022, 1443). Die Doppelfunktion des Schmerzensgeldes ist demnach auch in Arzthaftungsfällen zu bejahen.

Dem Urteil des Bundesgerichtshofs lag ein Sachverhalt zu Grunde bei dem ein Patient notfallmäßig in einem Krankenhaus eingeliefert wurde. Eine erste Röntgenaufnahme des Thoraxes um 15.07 Uhr ergab den Verdacht, dass mit dem Herzen des Patienten etwas nicht in Ordnung sein könnte. Dies bestätigte sich durch ein anschließend durchgeführtes EKG, welches das Vorliegen eines Herzinfarktes nahelegte. Die Auswertung der zuvor entnommenen Blutprobe lag um 15.37 Uhr vor, sie ergab einen deutlich erhöhten Troponin-Wert. Der Patient wurde im weiteren Verlauf auf die Normalstation verlegt, wo es gegen 16.30 Uhr zu einer kardialen Dekompression und zum Kammerflimmern mit anschließendem Herzstillstand kam. Nach der Reanimation wurde um 18.13 Uhr eine Herzkatheter-Untersuchung begonnen, bei der dem Patienten zwei sog. Stents eingesetzt wurden. Der Patient verstarb am nächsten Morgen gegen 7.30 Uhr nach einem erneuten Herzstillstand. Klägerin im hiesigen Fall war die Witwe des verstorbenen Patienten.

Der Bundesgerichtshof führt in seinem Urteil vom 08.02.2022 aus, dass bei Schmerzensgeldansprüchen zwar regelmäßig der Ausgleichsgedanke und damit die sog. Ausgleichsfunktion im Vordergrund stehe, diese jedoch nicht allein maßgebend für die Höhe des geschuldeten Schmerzensgeldes sein könne. Das alleinige Abstellen auf den Ausgleichsgedanken sei unmöglich, weil sich sog. immaterielle Schäden nicht und Ausgleichsmöglichkeiten nur beschränkt in Geld ausdrücken ließen. Obwohl bei der ärztlichen Behandlung das Bestreben der Behandlungsseite im Vordergrund stehe, dem Patienten zu helfen und ihn von seinen Beschwerden zu befreien, stelle es für die Frage der Bemessung des Schmerzendgeldes einen wesentlichen Unterschied dar, ob dem Arzt grobes Verschulden zur Last falle, oder ob ihn nur ein geringer Schuldvorwurf träfe. Daher sei auch zu berücksichtigen, ob dem behandelnden Arzt grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen sei. Da dies in den Vorinstanzen nicht hinreichend ausermittelt worden sei, verwies der Bundesgerichtshof die Sache zur neuen Verhandlung an die Vorinstanz zurück.

Obwohl die behandelnden Ärzte bei den von Ihnen durchgeführten Behandlungen vom medizinischen Grundsatz geleitet werden, dem Patienten zu helfen und ihn von seinen Beschwerden zu befreien oder – wo dies nicht möglich ist – die Beschwerden zumindest zu lindern, ist nach dem dargelegten Urteil des Bundesgerichtshofs im Falle des Vorliegens eines Behandlungsfehlers bei der Bemessung des Schmerzensgeldes zu prüfen, ob dem behandelnden Arzt im Zusammenhang mit dem Behandlungsfehler grob fahrlässiges oder sogar vorsätzliches Handeln vorzuwerfen ist.

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