Arbeitgeber trägt bei Corona-Schließung kein Arbeitsausfallrisiko

24. November 2021

Wer trägt das Risiko des Arbeitsausfalls bei einem Lockdown? Jedenfalls nicht der Arbeitgeber, so eine aktuelle Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts. Der Arbeitgeber sei daher nicht verpflichtet, einem Arbeitnehmer die Vergütung unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs weiter zu zahlen.

Der Fall: Der Arbeitgeber betrieb einen Handel für Nähmaschinen, u.a. mit einer Filiale in Bremen. Dort war die Arbeitnehmerin seit 2019 als geringfügig Beschäftigte im Verkauf tätig. Im April 2020 wurde das Ladengeschäft aufgrund einer örtlichen Allgemeinverfügung im Folge der Pandemie geschlossen. Der Arbeitgeber konnte die Klägerin nicht beschäftigen und zahlte ihr auch keine Vergütung.

Hiergegen klagte die Arbeitnehmerin: Sie verlangte die Fortzahlung der Zahlung ihrer Vergütung in der Zeit der Betriebsschließung unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs. Bei der erzwungenen Filialschließung handele es sich um einen Fall des vom Arbeitgeber zu tragenden Betriebsrisikos. Dagegen wandte der Arbeitgeber ein, die Corona bedingten Schließungen beträfen das allgemeine Lebensrisiko, das nicht beherrschbar und von allen, also auch von den Arbeitnehmern, gleichermaßen zu tragen sei.

Die Vorinstanzen gaben der Klage zugunsten der Arbeitnehmerin statt und verurteilten den Arbeitgeber zu Fortzahlung der Vergütung während der Betriebsschließung.

Die Revision beim Bundesarbeitsgericht hatte dagegen Erfolg und entschied zugunsten des Arbeitgebers: Dieser müsse die Vergütung in der Zeit der behördlich angeordneten Betriebsschließung nicht zahlen.

Der Arbeitgeber, so das Bundesarbeitsgericht, trage nicht das Risiko des Arbeitsausfalls, wenn es – wie hier – zum Schutz der Bevölkerung vor schweren und tödlichen Krankheitsverläufen infolge von SARS-CoV-2-Infektionen zu einem flächendeckenden Lockdown komme. In einem solchen Fall realisiere sich kein Betriebsrisiko, so das Bundesarbeitsgericht, vielmehr sei die fehlende Möglichkeit der Arbeitsleistung Folge eines hoheitlichen Eingriffs zur Bekämpfung einer die Gesellschaft insgesamt treffenden Gefahrenlage. Es sei Sache des Staates, gegebenenfalls für einen adäquaten Ausgleich der den Beschäftigten durch den hoheitlichen Eingriff entstehenden finanziellen Nachteile zu sorgen. Soweit ein solcher wie bei der Arbeitnehmerin als geringfügig Beschäftigter, die vom Kurzarbeitergeld ausgeschlossen ist, nicht gewährleistet sei, beruhe dies auf Lücken im sozialversicherungsrechtlichen Regelungssystem. Hieraus lasse sich jedoch keine arbeitsrechtliche Zahlungspflicht des Arbeitgebers herleiten.

„3G“ am Arbeitsplatz, § 28b IfSG n.F. – Arbeitgeber in der Pandemiebekämpfung

23. November 2021

Die bislang in § 28a Abs. 7 IfSG geregelte sog. „Epidemische Lage“ als Ermächtigungsgrundlage für Einschränkungen im Rahmen der Pandemiebekämpfung läuft zum 25.11.2021 aus. Dennoch steigt das Infektionsgeschehen. Daher hat der Bundestag mit Beschluss vom 18.11.2021 (BT-Drs. 20/15) den „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes und weiterer Gesetze anlässlich der Aufhebung der Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ auf den Weg gebracht, dem bereits am 19.11.2021 einstimmig vom Bundesrat zugestimmt wurde (BR-Drs. 803/21).

Der darin enthaltene Maßnahmenkatalog tritt neben vereinzelten Regelungen am 24.11.2021 in Kraft und enthält behördliche Befugnisse zur Anordnung von Abstandsgeboten im öffentlichen Raum, Kontaktbeschränkungen, Maskenpflicht, Vorlage von Impf-, Genesenen- oder Testnachweisen sowie Personenoberbegrenzungen im öffentlichen wie auch im Freizeitbereich. Darüber hinaus aber auch die für Arbeitgeber wichtige Verpflichtung zur Einführung von „3G“ (geimpft, genesen, getestet) am Arbeitsplatz. Die grundsätzlich der unternehmerischen Freiheit unterliegende Arbeitsstätte soll also nur noch für Geimpfte, Genesene und Getestete zugänglich sein.

Ausgangspunkt der rechtlichen Regelungen ist ein neu geschaffener § 28b IfSG. Während nach dieser Vorschrift „3G“ verpflichtend für den Luft-, sowie öffentlichen Personennah- und Fernverkehr eingeführt wird (§ 28b Abs. 5 IfSG), gilt dies nach § 28b Abs. 1, 2 und 3 IfSG nunmehr auch für den Arbeitsplatz und leistet einen wesentlichen Beitrag zur Pandemiebekämpfung. Arbeitgeber werden also wieder einmal in die Pflicht zur Pandemiebekämpfung genommen.

Physischer Kontakt zwischen Arbeitgeber, Beschäftigten oder zu Dritten am Arbeitsplatz, § 28b Abs. 1 IfSG

Die „3G“-Regel findet nach § 28b Abs. 1 IfSG immer dann Anwendung, wenn physische Kontakte von Arbeitgebern und Beschäftigten untereinander oder zu Dritten bei Betreten der Arbeitsstätte oder beim Transport von mehreren Beschäftigten zur oder von der Arbeitsstätte nicht ausgeschlossen werden können. Die Vorschrift stellt also klar, dass schon das potenzielle Aufeinandertreffen von Arbeitgebern, Beschäftigten und Dritten im Betrieb ausreicht, um den Anwendungsbereich zu eröffnen. Ein tatsächliches Aufeinandertreffen ist nicht notwendig und selbst unter Einhaltung schärfster Hygienemaßnahmen dürfte ein völliger Ausschluss jeglichen Kontakts der Belegschaft in Betrieben, auf Fluren, in Gemeinschaftsräumen und Sanitäreinrichtungen lebensfremd sein. Im Falle eines Verstoßes obliegt dem Arbeitgeber insoweit die Beweislast.

Ist der physische Kontakt nicht ausgeschlossen, darf die Arbeitsstätte nur von geimpften, genesenen oder getesteten Personen betreten werden, die einen Impf-, Genesenen- oder Testnachweis:

  • mit sich führen,
  • zur Kontrolle verfügbar halten oder
  • bei dem Arbeitgeber hinterlegt haben.

Dabei darf im Falle eines PCR-Tests dieser maximal 48 Stunden zurückliegen. Dies gilt nur dann nicht, wenn der Arbeitgeber unmittelbar vor der Arbeitsaufnahme ein Testangebot unterbreitet oder die Wahrnehmung eines Impfangebotes ermöglicht. Hintergrund der Ausnahmetatbestände sind schlicht praktische Erwägungen und die Förderung der Impfquote, auch wenn es im Einzelfall zu Infektionen kommen könnte.

Über die betrieblichen Zugangsregelungen und die Verpflichtung zum Mitführen, Bereithalten oder Hinterlegen etwaiger Nachweise sind die Beschäftigten bei Bedarf in barrierefreier, zugänglicher Form zu unterrichten, was sich durch Aushang im Intranet oder bereits vorab per Rundtelefonat mit der Belegschaft anbietet. Nur so kann ein möglicher Betriebszugang bereits vorab ausgeschlossen werden, § 28b Abs. 1 IfSG.

Verschärfte Testpflicht in Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen und Arztpraxen, § 28b Abs. 2 IfSG

Für medizinische Einrichtungen, wie etwa Krankenhäuser, Dialyse- und Pflegeeinrichtungen oder Arztpraxen (Auflistung in § 23 Abs. 3 i.V.m. § 36 Abs. 1 Nr. 2 und 7 IfSG), gilt darüber hinaus eine Testpflicht sowohl für den Arbeitgeber und die bei diesem Beschäftigten, aber auch für Besucher und Dritte, ganz unabhängig davon, ob sie geimpft oder genesen sind, § 28b Abs. 2 IfSG. Die Testung kann für Geimpfte und Genesene auch durch Eigenanwendung in Form von Antigen-Tests erfolgen, wobei der Test höchstens zweimal wöchentlich wiederholt werden muss.

Der Arbeitgeber ist des Weiteren dazu verpflichtet, ein einrichtungs- oder unternehmensbezogenes Testkonzept zu erstellen, im Rahmen dessen allen Beschäftigten und Besuchern Tests anzubieten sind. Die Möglichkeit Tests anzubieten wird bei medizinischen Einrichtungen folglich zur Pflicht und bezieht sich insbesondere auf Besucher, was sonst nicht der Fall ist.

Nachweispflicht für Arbeitgeber, Beschäftigte, Leiter medizinischer Einrichtungen und Besucher, § 28b Abs. 3 IfSG

Darüber hinaus obliegen Arbeitgeber und Leiter medizinischer Einrichtungen entsprechende Nachweiskontrollen. Sie sind verpflichtet, die Einhaltung der vorgenannten Verpflichtungen täglich zu überwachen und regelmäßig zu kontrollieren; sie müssen wie auch ihre Beschäftigten und Besucher, entsprechende Nachweise führen und auf Verlangen vorlegen, § 28b Abs. 3 S. 1, 2 IfSG. Zur Erhebung und Verarbeitung der damit verbundenen personenbezogenen Daten, auch zur Anpassung und Verbesserung eines vorhandenen Hygienekonzepts, sind sie nach § 28b Abs. 3 S. 3, 4 IfSG befugt.

Entsprechend können die zuständigen Behörden von jedem Arbeitgeber und den jeweiligen Leitungen der medizinischen Einrichtungen die zur Durchführung der Überwachungsaufgaben erforderlichen Auskünfte verlangen, § 28b Abs. 3 S. 6 IfSG. Für Arbeitgeber und Leiter, der in § 23 Abs. 3 i.V.m. § 36 Abs. 1 Nr. 2 und 7 IfSG genannten Einrichtungen gilt darüber hinaus, dass sie aktiv verpflichtet sind, der zuständigen Behörde zweiwöchentlich folgende Angaben in anonymisierter Form zu übermitteln:

  1. Angaben zu den durchgeführten Testungen, jeweils bezogen auf Personen, die in der Einrichtung oder dem Unternehmen beschäftigt sind oder behandelt, betreut oder gepflegt werden oder untergebracht sind, sowie bezogen auf Besuchspersonen und
  2. Angaben zum Anteil der Personen, die gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 geimpft sind, jeweils bezogen auf die Personen, die in der Einrichtung oder dem Unternehmen beschäftigt sind oder behandelt, betreut oder gepflegt werden oder untergebracht sind.

Die im Zuge dessen erhobenen Daten zu Impf- und Teststatus der betroffenen Personen sind spätestens am Ende des sechsten Monats ihrer Erhebung zu löschen.

Home-Office-Pflicht für Arbeitgeber und Beschäftigte, § 28b Abs. 4 IfSG

Die Verpflichtung zu täglichen Testungen der Beschäftigten entfällt mit der Einführung von Home-Office. Insoweit ist der Gesetzgeber mit der Einführung von § 28b Abs. 4 IfSG zur Home-Office-Pflicht zurückgekehrt. Die Norm ist inhaltsgleich mit der vom 23.04.2021 bis zum 30.06.2021 in § 28b Abs. 7 IfSG geltenden Vorgängerregelung und verpflichtet den Arbeitgeber zur Beschäftigung im Falle von Büroarbeit oder vergleichbarer Tätigkeit, diese in der Wohnung des Beschäftigten durchzuführen, wenn keine zwingenden betriebsbedingten Gründe entgegenstehen. Die Beschäftigten haben dieses Angebot anzunehmen soweit ihrerseits keine Gründe entgegenstehen.

Wir hatten hier einst ausgiebig berichtet.

Die vorgenannten Regelungen gelten vorerst bis zum Ablauf des 19.03.2022.

Fazit: Erhebliche organisatorische und finanzielle Verpflichtungen für Arbeitgeber, Leiter und Beschäftigte

Auf Arbeitgeber, Beschäftigte und Leiter der in § 23 Abs. 3 i.V.m. § 36 Abs. 1 Nr. 2 und 7 IfSG genannten Einrichtungen kommen damit erhebliche organisatorische und finanzielle Verpflichtungen zu.

Für Beschäftigte und Besucher der genannten Betriebe gilt darüber hinaus, dass sie selbst dazu verpflichtet sind, sich entsprechende Test zu besorgen und vor Dienstantritt im Betrieb vorzulegen. Das Testen gehört nicht zur Arbeitszeit. Arbeitgeber sind lediglich verpflichtet, zwei Tests pro Woche zu stellen.

Legt der Beschäftigte keinen Test vor, kann er die Arbeitsstätte nicht betreten und seine Arbeitsleistung nicht erbringen. Er riskiert damit seinen Lohnanspruch und muss nicht vergütet werden. Im Wiederholungsfalle kommen darüber hinaus sogar Abmahnung und verhaltensbedingte Kündigung in Betracht, wobei letztere erst nach ausführlichem Gespräch und Abwägung im Einzelfall erfolgen sollte.

 

RA Karl Neumann, LL.M. – Praxisgruppe Arbeitsrecht, ATN-Rechtsanwälte

Kryptowährungen im Insolvenzverfahren – Sicherung, Behandlung, Verwertung und mehr

16. November 2021

Was sind Krypotowährungen, Blockchain, Krypto, Coins oder Token? Bei der Einordnung der Begriffe spielen Emotionen und Vorerfahrungen mit Finanzprodukten eine wesentliche Rolle.

Einleitung zu Kryptowährungen

Objektiv betrachtet handelt es sich bei Kryptowährungen schlicht um digitale Vermögenswerte. Die Besonderheit liegt darin, dass Kryptowährungen nicht unmittelbar staatlich kontrolliert oder reguliert werden. Dies trägt zu dem weit verbreiteten Bild bei, Kryptowährungen seien völlig anonym und Transaktionen nicht nachvollziehbar. Das ist in dieser Einfachheit nicht richtig.

Grundlegende Technik von Cyberdevisen

Inzwischen gibt es mehr als 10.000 verschiedene Krypto-Projekte. Das weltweite Handelsvolumen der Top 100 Kryptowährungen beträgt derzeit mehrere Milliarden Euro pro Tag. Der im Jahr 2009 erfundene Bitcoin basiert dabei auf einer von allen Teilnehmern gemeinsam verwalteten dezentralen Datenbank, der Blockchain. Sie ist eine öffentlich einsehbare und von allen Nutzern geteilte Datenbank, in der Transaktionsdaten gespeichert werden.

Im Gegensatz zu Banknoten, die durch eine Zentralbank ausgegeben werden, werden Bitcoins durch die computerbasierte Lösung kryptographischer Aufgaben, das sogenannte „Mining“, erschaffen. Das Kreieren neuer Blöcke der Blockchain erfordert enorme Rechenleistungen und gleichsam enormen Energieeinsatz. Ende Oktober 2021 waren bereits 18.86 Mio. Bitcoins im Umlauf. Insbesondere durch diese Beschränkung ist der Bitcoin die letzten Jahre erheblich im Wert gestiegen. Die Markkapitalisierung allein des Bitcoins beläuft sich derzeit auf rund 1.193.545 Mrd. USD.

Aber auch die Alternativen zum Bitcoin, sog. „Altcoins“, zeigen eine beeindruckende Entwicklung. Die bekanntesten Altcoins sind Ether (ETH), Tether (USDT), Ripple (XRP), Chain Link (LINK), Binance Coin (BNB) oder Bitcoin Cash (BCH). Allen Kryptowährungen gemein ist, dass inzwischen jede Privatperson ohne Hintergrundwissen per App oder online in digitale Währungen investieren, kaufen und verkaufen  und diese zum Teil auch im Zahlungsverkehr nutzen kann.

Blockchain

Die meisten Kryptowährungen bauen auf der Blockchain-Technologie auf. Die Blockchain ähnelt dabei einem digitalen Kontenbuch. Aus technischer Sicht ist es ein digitales, chronologisch aufgebautes, dezentrales und nahezu fälschungssicheres Datenregister. Dieses Register wird auf einer „peer-to-peer“ -Basis geführt. Peers sind im Netzwerk gleichberechtigte Teilnehmer, die auch als „Nodes“ bezeichnet werden können. Die Besonderheit ist, dass in einem peer-to-peer-Netzwerk – anders als bei einem Cloudsystem – die gespeicherten Daten auf den Computern der Teilnehmer gespeichert werden. Ohne zentrale Speicherung sämtlicher Daten in einem einzigen System, ist der Datenbestand vor lokalen Schadenereignissen geschützt. Auch lässt sich die Blockchain stets aktuell halten. Weichen die gespeicherten Versionen von einander ab, so gilt immer diejenige, die die längste Blockchain enthält.

In der Blockchain werden Information in Blöcken gespeichert und aneinandergereiht. Die dann aneinandergereihten Blöcke werden kryptographisch verschlüsselt und so „verkettet“. Die Verschlüsselung erfolgt über sog. „Hashes“. Hashes sind am ehesten als kryptographisch digitale Signaturen oder Fingerabdrücke zu charakterisieren.

Wallet und Key

Um eine Transaktion von einem Netzwerkteilnehmer zu einem anderen vorzunehmen, verwendet die Blockchain das „Public-/Private-Key-Konzept“. Jeder Teilnehmer verfügt über zwei Schlüssel, einen Public Key und einem Private Key. Der „public key“ ist eine Adresse innerhalb der Blockchain, welcher Token zugeordnet werden können. Er ist vergleichbar mit einer Kontonummer eines Bankkontos.

Neben dem Public Key existiert ein sog. „private key“, welcher mit der PIN eines Girokontos vergleichbar ist. Dieser verbleibt beim Netzwerkteilnehmer und dient der Signatur von Transaktionen.  Der Private Key ist der Schlüssel, um Token zu transferieren. Mit ihm steht und fällt die Berechtigung über die dem Public Key zugeordneten Token zu verfügen. Von dem Private Key kann zwar mathematisch auf den Public Key geschlossen werden, umgekehrt ist dies jedoch nicht möglich.

Als „Wallet“ wird der Ort verstanden, an dem die Netzwerkteilnehmer ihre Private Keys aufbewahren. Auch wenn der Begriff es suggeriert, eine tatsächliche Übertragung von Token in eine Wallet findet technisch nicht statt. Der Zweck einer Wallet besteht allein in dem Ausschluss Dritter von der Verfügung über Kryptowerte, die dem jeweiligen Public Key des Netzwerkteilnehmers zugeordnet sind. Die grundlegendste Unterscheidung, insbesondere hinsichtlich der Behandlung in der Insolvenz, besteht in der Anbieter(un)abhängigkeit.

Behandlung und Verwertung in der Insolvenz

Dass Kryptowerte Vermögen darstellen, ist seit dem 01.01.2020 unmittelbar aus § 1 Abs. 11 S. 4 KWG ersichtlich. Das wohl größte Problem eines pot. Insolvenzverwalters bleibt wohl die Erlangung der Kenntnis über vorhandene Kryptowerte beim Schuldner oder Ansprüche gegen Dritte, die auf Übertragung von Kryptowerten gerichtet sind. Zwar ist der Schuldner zur Auskunft hierüber verpflichtet. Die Praxis zeigt jedoch immer wieder die Schwierigkeiten bei der Identifizierung von Werten, wozu es meist der Mitwirkung des Schuldners bedarf. Da Kryptowerte ausschließlich in digitaler Form bestehen und da Kryptowährungen nach wie vor eine gewisse Anonymität nachgesagt wird, könnten Schuldner dazu verleitet sein, falsche oder gar keine Angaben in dieser Hinsicht zu machen.

Ist bekannt, dass der Schuldner Inhaber einer Wallet und Inhaber von Kryptowährungseinheiten ist, hat der Insolvenzverwalter gemäß § 148 Abs. 1 InsO diese in Besitz und Verwaltung zu nehmen. Die Sicherung von Kryptowerten ist in hohem Maße eilbedürftig. Denn solange der Schuldner in der Lage ist, Token auf einen Dritten zu transferieren, ist der Totalverlust zu befürchten. Bekanntlich lässt selbst die Kenntnis des empfangenden Public Keys gerade keinen Rückschluss auf die Identität des Inhabers zu. Ein neuer Erwerber wäre ohne Mitwirkung des Schuldners nicht ermittelbar.

Für die Verwertung bieten sich mehrere Möglichkeiten an. Grundsätzlich kann die Verwertung auch über einen Krypto-Marktplatz, eine Krypto-Börse oder auch freihändig erfolgen. Hierfür ist die Inbesitznahme durch den Insolvenzverwalter notwendig. Dafür ist wiederum die oben dargestellte Unterscheidung der Anbieter(un)abhängigkeit von zentraler Bedeutung.

Für die Verwertung von Token, welche durch eine anbieterunabhängige Wallet gesichert sind, muss der Insolvenzverwalter sowohl den Public Key als auch den Private Key vom Schuldner erhalten. Im Fall einer anbieterabhängigen Wallet braucht der Insolvenzverwalter jedenfalls Kenntnis des Anbieters.

Die Verwertung kann auch durch Veräußerung beider Keys freihändig erfolgen. Dies erfolgt durch Übermittlung Zug-um-Zug gegen Zahlung des entsprechenden Gegenwertes in EUR auf das Treuhand- oder Insolvenzsonderkonto.

Die Verwertung einer anbieterabhängigen Wallet erfolgt unmittelbar über den Login des Anbieters oder Kryptoverwahrers. Der Insolvenzverwalter kann sich aufgrund der ihm eingeräumten Verfügungsmacht – sofern die Zugangsdaten bekannt sind – einloggen und die Umwandlung selbst vornehmen. Der Gegenwert in EUR wird in der Regel einem Bankkonto des Schuldners gutgeschrieben. Der Auskehrung des Betrages auf das Treuhand- oder Insolvenzsonderkonto steht danach nichts weiter im Wege. Sollte der Schuldner die Login-Daten nicht offenbaren, lassen sich (neue) Zugangsdaten beim jeweiligen Kryptoverwahrer erfahren.

Die rechtlichen und technischen Fragen bei der Sicherung, Behandlung und Verwertung von Kryptowährungen entwickeln sich rasant und bedürfen der weiteren Untersuchung, Analyse und Entwicklung.

Krisenfrüherkennung – Die neue (alte) Pflicht für Geschäftsführer

11. November 2021

Zum 01.01.2021 trat – im Rahmen des SanInsFoG (Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts) – das Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (Unternehmensstabilisierung- und –restrukturierungsgesetz – StaRUG) in Kraft. Damit setzte der Gesetzgeber die Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2019 über präventive Restrukturierungsrahmen etc. um. Der Gesetzgeber hat dabei erstmals rechtsformübergreifend eine Pflicht für Geschäftsführer von haftungsbeschränkten Unternehmensträgern (Geschäftsleiter) zur Krisenfrüherkennung und zum Krisenmanagement herausgearbeitet und kodifiziert.

Anerkanntermaßen entstehen Unternehmenskrisen in der Regel nicht „plötzlich“, sondern entwickeln sich häufig schleichend über einen langen Zeitraum. Durch zu spätes Erkennen einer fortschreitenden Krise und (falsches) Zuwarten oder (ebenso evtl. falsches) Handeln können eine akute Existenzgefährdung für das Unternehmen, damit verbundene Nachteile für die Gläubiger sowie umfangreiche Haftungsgefahren für die Geschäftsleiter drohen. Dem kann und soll durch frühzeitiges Erkennen einer Krise und ein entsprechend rechtzeitiges Krisenmanagement entgegengewirkt werden – im besten Fall bereits präventiv vor Entstehung einer existenzgefährdenden Krise.

Im Zeitablauf von Unternehmenskrisen kann zwischen etwa sechs Krisenstadien unterschieden werden:

  • der Stakeholder Krise,
  • der Strategiekrise,
  • der Produkt- und Absatzkrise,
  • der Ertragskrise,
  • der Liquiditätskrise und schließlich
  • der existentiellen Krise, somit der Feststellung der Insolvenzreife.

Um Risiken entgegenzuwirken, hatte der Gesetzgeber bereits 1998 mit dem Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) im AktG ein Krisenfrüherkennungssystem eingeführt. Demnach hat der Vorstand einer Aktiengesellschaft geeignete Maßnahmen zu treffen, insbesondere ein Überwachungssystem einzurichten, damit den Fortbestand der Gesellschaft gefährdende Entwicklungen früh erkannt werden. Aus der Gesetzesbegründung ergibt sich, dass der Gesetzgeber dabei eine Bestandsgefährdung für das Unternehmen insbesondere bei risikobehafteten Geschäften, Unrichtigkeiten der Rechnungslegung und Verstößen gegen gesetzliche Vorschriften annahm, welche wesentliche negative Auswirkungen auf die Vermögens-, Finanz- oder Ertragslage der Gesellschaft haben. Ziel des Gesetzgebers war es, dass derartige negative Entwicklungen und potentielle Risiken so frühzeitig erkannt werden, dass noch rechtzeitig geeignete Gegenmaßnahmen zur Beseitigung der Krise und zum Fortbestand des Unternehmens ergriffen werden und somit eine Insolvenz letztlich vermieden werden sollte.

Neben der Pflicht zur Einführung eines Krisenfrüherkennungssystems aus § 91 Abs. 2 AktG finden sich weitere spezialgesetzlich normierte Risikomanagementsysteme, so z.B. in § 25a Abs. 1 KWG, § 80 Abs. 1 WpHG oder auch in § 26 VAG. Zudem sind die §§ 15a ff. InsO zu beachten.

Rechtslage seit Einführung des StaRUG

Nach Art. 3 Abs. 1 S. 1 der von den Mitgliedsstaaten umzusetzenden EU Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz musste sichergestellt werden, dass Schuldner Zugang zu einem oder mehreren klaren und transparenten Frühwarnsystemen haben, die Umstände erkennen können, die zu einer wahrscheinlichen Insolvenz führen können und ihnen signalisieren können, dass unverzüglich gehandelt werden muss. Zur Förderung der präventiven Restrukturierung sollten Geschäftsleiter daher angehalten werden, frühzeitig vertretbare Geschäftsentscheidungen zu treffen oder vertretbare wirtschaftliche Risiken einzugehen, vor allem wenn dadurch die Aussichten auf eine Restrukturierung verbessert, Verluste möglichst gering gehalten und eine Insolvenz im Ergebnis abgewendet werden kann.
In der Umsetzung vorerwähnter Richtlinie hat der Gesetzgeber mit dem am 01.01.2021 in Kraft getretenen Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (Unternehmensstabilisierung- und –restrukturierungsgesetz – StaRUG) nunmehr erstmals rechtsformübergreifend eine allgemeine Pflicht für Geschäftsführer von haftungsbeschränkten Unternehmensträgern zur Krisenfrüherkennung und zum Krisenmanagement geschaffen.

Nach § 1 Abs. 1 S. 1 StaRUG besteht eine allgemeine Pflicht für die Geschäftsleiter einer juristischen Person, fortlaufend über Entwicklungen zu wachen, welche den Fortbestand der juristischen Person gefährden können. Aus der Gesetzesbegründung ergibt sich, dass aufgrund der bereits bestehenden Risikoüberwachungspflicht aus § 91 Abs. 2 AktG und dessen „Ausstrahlungswirkung“ auch für die Geschäftsleitungsorgane von Unternehmensträgern anderer Rechtsformen, die neue Vorschrift in § 1 Abs. 1 S. 1 StaRUG lediglich im Interesse an Rechtsklarheit eine klarstellende Wirkung bzgl. der Mindestanforderungen habe.

Tatsächlich wird jedoch nur das „Ob“, nicht aber das „Wie“ geregelt. § 101 StaRUG verweist diesbezüglich lediglich auf die Webseite des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz und die durch öffentliche Stellen dort bereitgestellten Instrumentarien zur frühzeitigen Identifizierung von Krisen.

Grundsätzlich ist anzunehmen, dass ein Krisenfrüherkennungssystem (KFS) nach § 91 Abs. 2 AktG bzw. nach den Grundsätzen des IDW PS 340 n.F. zugleich die Anforderungen des § 1 Abs. 1 StaRUG erfüllt. Insbesondere kleine und mittlere Unternehmen dürften damit jedoch organisatorisch erheblich überfrachtet werden, was nicht im Sinne des Gesetzgebers ist.

Im Allgemeinen lassen sich daher die Voraussetzungen für bzw. die Anforderungen an ein Krisenfrüherkennungssystem wie folgt zusammenfassen:

  1. Das RFS muss bestandsgefährdende Entwicklungen, nachteilige Veränderungen sowie potentielle Risiken und Krisensignale für das Unternehmen frühzeitig erkennen können.
  2. Die wirtschaftliche und finanzielle Situation des Unternehmens muss mit einem Prognosezeitraum von 24 Monaten (vgl. § 18 Abs. 2 S. 2 InsO) laufend überwacht werden.
  3. Es sind eindeutige Zuständigkeiten in die Organisationsstruktur des Unternehmens zu implementieren, um ein regelmäßiges und engmaschiges Reporting in Bezug auf Krisensignale aus den einzelnen Unternehmensbereichen an die Geschäftsleitung gewährleisten zu können.
  4. Sämtliche Maßnahmen sind zu dokumentieren.

Die Ausformung und die Reichweite der konkreten Maßnahmen sind – wie dargestellt – im Einzelfall von der Größe, Branche, Struktur und auch der Rechtsform des jeweiligen Unternehmens abhängig.

Jedenfalls ist – im Gegensatz zu der operativen Krisenfrüherkennung – im Rahmen einer strategischen und zukunftsorientierten Krisenfrüherkennung eine Methodik zur Erkennung von Krisensignalen und deren Bewertung zu entwickeln. Es muss sichergestellt werden, dass ein laufendes und dokumentiertes Reporting aus allen Bereichen des Unternehmens in Bezug auf mögliche Krisensignale und Risikoentwicklungen an den Geschäftsleiter erfolgt, damit auch schwache Krisensignale und Umweltveränderungen als Informationsgrundlage für die Entscheidungen des Geschäftsleiters einbezogen werden können.

Unter dem Strich umfasst das erforderliche Maßnahmenmanagement die strategische Neuausrichtung sowie die operative und finanzielle Restrukturierung des Unternehmens. Der Fokus liegt dabei auf der finanziellen Restrukturierung, insbesondere der Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit. Sämtliche Maßnahmen müssen dabei in einer integrierten Businessplanung berücksichtigt werden. Schließlich müssen die Maßnahmen möglichst kurzfristig und vor allem rechtzeitig umgesetzt, dokumentiert und überwacht werden, um den Weg in eine erfolgreiche und profitable Zukunft zu finden. Zentrales Element ist dabei eine offene und faktenbasierte Kommunikation mit den beteiligten Stakeholdern, um verloren gegangenes Vertrauen wieder herzustellen.

Als alternative Maßnahmen bietet das StaRUG seit dem 01.01.2021 zur Beseitigung einer drohenden Zahlungsunfähigkeit die Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens an.

Fazit

Mit Inkrafttreten des StraRUG wurde erstmals rechtsformübergreifend eine allgemeine Pflicht für Geschäftsleiter von haftungsbeschränkten Unternehmensträgern zur Krisenfrüherkennung und zum Krisenmanagement geschaffen. Sinn und Zweck der Regelungen soll es sein, dass Geschäftsleiter bereits in einem möglichst frühen Krisenstadium vorhandene Krisensignale erkennen, Krisenursachen feststellen und dadurch entsprechend frühzeitig geeignete Gegenmaßnahmen einleiten können, um eine spätere Ergebnis- bzw. Liquiditätskrise oder sogar eine Insolvenz abwenden zu können.

Obwohl die Pflicht zur Implementierung eines Krisenfrüherkennungssystems nicht neu ist, wird ein solches in der Praxis bislang nur in wenigen Fällen auch angemessen eingesetzt. Die skizzierten Mindestanforderungen sollten indes von jedem Geschäftsleiter leicht, kostengünstig und schnell umzusetzen sein, um auch die Anforderungen des § 1 StaRUG zu erfüllen. Verstoßen Geschäftsleiter gegen diese Sorgfaltspflicht zur Implementierung eines Krisenfrüherkennungssystems (KFS) oder gegen die Pflicht zum Krisenmanagement, so drohen persönliche Schadensersatzansprüche gegenüber der Gesellschaft bzw. der Insolvenzmasse. Festzuhalten bleibt aber auch, dass trotz Streichung der §§ 2, 3 Starug-RegE gerade in der Krise und vor allem ab dem Zeitpunkt der drohenden Zahlungsunfähigkeit für die Geschäftsleiter erhebliche Unsicherheiten und Risiken in Bezug auf mögliche Haftungsrisiken bestehen. Insbesondere für den Fall einer Nichtberücksichtigung der Gläubigerinteressen ab Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit bleibt abzuwarten, wie die Rechtsprechung die Lehre vom „shift of duties“ zukünftig bewerten wird.

Geschäftsleiter sollten daher genau prüfen, wie die Pflichten aus § 1 StaRUG im Unternehmen umgesetzt werden können. Im Zweifel ist zu empfehlen, entsprechende Unterstützung eines kundigen Experten in Anspruch zu nehmen, denn mit voranschreitender Krise steigen die Anforderungen an ein pflichtgemäßes Krisenmanagement. Schließlich ist zu empfehlen, bei ersten Krisenanzeichen aktiv zu werden und sämtliche durchgeführte Maßnahmen, sowohl für den Bereich der Krisenfrüherkennung als auch für das Krisenmanagement, umfassend zu dokumentieren.